05 2005 Kunst als radikales politisches VorstellungsvermögenÜbersetzt von Birgit Mennel Dieser Text ist die Einleitung zu Brumaria 5: Kunst als radikales politisches Vorstellungsvermögen – einem Buchband als Ergebnis einer ergiebigen Zusammenarbeit zwischen Brumaria und dem Europäischen Institut für progressive Kulturpolitiken (eipcp) in Wien/Linz.[1] Mehrere der darin enthaltenen Texte wurden ursprünglich für republicart.net geschrieben, ein Langzeitprojekt des eipcp, das die multilinguale, kritische Textproduktion im europäischen Raum anregen sollte. Wenn es auch naheliegend ist, dass für diese Ausgabe von Brumaria ausschließlich ihre HerausgeberInnen verantwortlich sind, so muss gleichwohl von Anfang an betont werden, dass der vorliegende Inhalt nicht aus dem Nichts auftaucht. Die Zusammenstellung der von uns veröffentlichten Materialien ist Ergebnis eines in den letzten Jahren begonnenen und immer noch fortdauernden Austausches mit verschiedenen Subjekten über die wachsenden Netzwerke zur Verkettung von künstlerischer Aktivität und politischer Autonomie. Der Austausch an zwei konkreten, neuen Fronten stiftete uns jedoch dazu an, diese Ausgabe zu realisieren. Einerseits die bestehenden Diskussionen im Umfeld der Veranstaltungen Klartext, Disobedience und hack.it.art[2]; andererseits der kontinuierliche Kontakt mit unseren argentinischen GenossInnen, der teilweise dadurch erleichtert wurde, dass Ausstellungen wie Ex Argentina[3] und Kollektive Kreativität[4] die Aufmerksamkeit auf die Bewegungslandschaft jenes Landes lenkten sowie auf die Rolle, die unkonventionelle Formen der Synthese von Kunst und Militanz dort spielen. Einige der in Brumaria 5 veröffentlichten Texte beziehen sich auf den Umstand, dass Ausstellungen wie die bereits erwähnten in weithin bekannten Räumen des internationalen Kunstsystems stattgefunden haben. Dieser Hinweis sowie die offenkundige Präsenz „des Politischen“ in Großausstellungen wie den vergangenen Documentas oder den Biennalen von Venedig und Berlin scheinen das ganze aktuelle Geplapper über eine neue „Mode“ der politischen Kunst zu rechtfertigen.[5] Die Ausgabe 5 von Brumaria bezieht in dieser Diskussion Stellung. Unser Standpunkt kann ohne Ausflüchte dargelegt werden. Zuerst halten wir es für falsch, wesentlich verschiedene Projekte und Phänomene im Rahmen der Kunstinstitution gleichzusetzen, die zweifellos eine Verbindung haben, jedoch nicht angeglichen werden dürfen, z.B. einerseits die Einverleibung künstlerischer Bemühungen mit bestimmten sozialen oder politischen Profilen in das festgelegte Organisations‑ und Ausstellungsregime des Kunstsystems (obgleich die Verdienste bestimmter kuratorischer und kritischer Initiativen anerkennungswürdig und notwendig sind; der Vergleich mit anderen opportunistischen und banalisierenden Beispielen macht sie sogar noch schätzenswerter); andererseits die Durchführung von Projekten wie Ex Argentina oder Kollektive Kreativität, die ohne sich auf institutionelle Kunsträume zu beschränken, aus dem Begehren erwachsen, in diesen Räumen eine Reihe von Experimenten der Durchquerung von Kunst‑Politik‑Aktivismus sichtbar zu machen, die auf den Handlungsweisen Untersuchung, Organisation und Ausstellung basieren und danach streben, nahe am Wesen der von ihnen kartographierten Praxen zu bleiben. Noch wichtiger ist jedoch, dass nicht von der Sichtbarkeit vielfältiger Formen politischer Kunst in internationalen Kunstinstitutionen gesprochen werden kann, ohne anzuerkennen, dass eine solche Präsenz zwischen einer Marginalität und einer Art unterworfener Zentralität oszilliert und in widersprüchlicher Weise zur Erneuerung des globalisierten Kunstsystems beiträgt.[6] Jenseits aller Vorbehalte und Widersprüchlichkeiten müssen wir folgende Feststellung beinahe hinausschreien: Die Interpretation bestimmter Merkmale der Sichtbarkeit neuer politisierter Kunstpraxen läßt sich weder auf einen Plan aus der Chefetage, des kaufmännischen Establishment, noch auf die gnädige Anerkennung der Intelligentsia des internationalen Kunstsystems reduzieren. Was wir im Kunstfeld antreffen, ist vielmehr eine Spiegelung derselben unumstößlichen Präsenz, die in den Worten von Colectivo Situaciones der neue soziale Protagonismus und die Neuzusammensetzung der autonomen, antagonistischen und politischen Netzwerke auf globaler Ebene seit mehr als einem Jahrzehnt zum Ausdruck gebracht haben. Der Argumentation von Brian Holmes folgend waren es die Bemühungen der direkten Aktion in den 1990ern, die die Konsensblase platzen ließen; ein Konsens, der die internationale auf neoliberale Hegemonie gebaute Ordnung stützte und so die Kritik in den politischen und intellektuellen Systemen erstarren und unwirksam werden ließ. Die direkte Aktion drang mit dem zapatistischen Aufblitzen 1994, Seattle 1999, Prag 2000 ... gewaltsam in die öffentliche Meinung ein. Trotzdem war es nicht mehr als ein punktuelles Funkeln inmitten einer langsamen Neuzusammensetzung multipler Formen der politischen Autonomie, die schon seit Jahren an einem neuen Zyklus translokaler Kämpfe arbeiten. Erst vor kurzem haben wir begonnen, etwas noch weitestgehend intuitiv zu erahnen: Wir wissen um die Existenz einer großen Zahl von Praxen, die den selben Ursprung haben wie der oben angedeutete globale Prozess und die versuchen, das Erbe der politisierten Kunstavantgarden mit neuen Formen autonomer Politik und sozialem Protagonismus zu verbinden. Es sind dies punktuelle Erfahrungen in Südamerika, Ost- und Westeuropa, die oftmals zu Kontakten oder einer manchmal unzureichenden gegenseitigen Kenntnisnahme führten sowie mittels der entstehenden Netzwerke der antisystemischen globalen Bewegungen geknüpft wurden – und nicht mittels der exklusiven und begrenzten Informationen und Kommunikationskanäle des Kunstsystems. Eine Erfahrung, die wir erst seit kurzem als ein Raster wahrzunehmen beginnen; ein Raster dessen was möglich und notwendig ist, um sich an genealogische Diagramme heranzuwagen. Jetzt ist der Moment dafür gekommen, diese Genealogien zu erarbeiten und die in ihrem Inneren produzierten, dem Wesen dieser Erfahrungen entsprechenden Darstellungsformen zu etablieren und auszutauschen, nicht um sie erstarren zu lassen, sondern um die Erfahrungen voranzutreiben, zu verzweigen, zu vervielfältigen und im Kontext widersprüchlicher institutioneller Sichtbarkeit, den wir zu Beginn des Textes zusammenzufassen versucht haben, wuchern zu lassen. * Brumaria 5: Kunst als radikales politisches Vorstellungsvermögen ist größtenteils eine Zusammenstellung bereits auf informellen Wegen verbreiteter Materialien, aber auch anderer Texte, die in beständigeren autonomen und außerinstitutionellen Netzwerken und Kommunikationskanälen zirkuliert sind. Die Ausgabe ist ein vorsichtiger Vorschlag, das Diskussionsfeld Um das neueste Werden und den gegenwärtigen Zustand der Neuanordnung Kunst–Politik–Aktivismus ohne irgendeinen Anspruch auf Vollständigkeit in sieben thematische Achsen zu gliedern, die vielleicht dazu beitragen können, bestimmte Profile des besagten Phänomens zu bestätigen wie auch gewisse Diskussionsstränge auszumachen, die hier als ihrem Wesen innewohnende Diskussionen behandelt werden; das heißt, dass sie keinesfalls externen Problematiken unterworfen werden, die durch eine institutionelle oder akademische Sichtweise von außen auferlegt wurden und so bspw. die lähmenden Trennungen zwischen Kunst/Politik, innerhalb/außerhalb der Institutionen etc. reproduzieren. Der Abschnitt über neue Institutions- und Kulturkritik ergründet zuerst die Spuren eines neuen Typs von Kunstinstitutionskritik, die die Selbstreferentialität und Zirkularität jener klassischen Institutionskritik überwindet, die nach ihrer Kraft in den späten 1960ern und dem darauf folgenden Jahrzehnt weitestgehend als Mechanismus der institutionellen Reproduktion und Erneuerung assimiliert wurde. Das von Benjamin Buchloh formulierte Konzept der Institutionskritik bereitete den Weg für eine Genealogie konzeptueller Praktiken, die sich von den herrschenden Schilderungen des positivistischen Konzeptualismus im europäischen und US-amerikanischen Raum unterschieden. Diese Genealogie erlaubte es, eine Vielfalt von Umständen miteinander zu verknüpfen, die, wie Craig Owens schrieb, nicht durch gemeinsame stilistische Merkmale gruppiert werden konnten, sondern sich vielmehr dadurch charakterisierten, dass in der künstlerischen Praxis der Schwerpunkt von der Produktion des Werks hin zu einer Analyse des institutionellen Rahmens verlagert wurde. Die Institutionskritik begründete offensichtlich den Einfluss der antiinstitutionellen Dynamiken im Kunstfeld, die von den antisystemischen Bewegungen um 1968 herum entfaltet wurden. In ihren Anfängen wirkten diese in einem für die „entwickelten“ Länder charakteristischen Prozess: zunehmende gegenseitige Durchdringung des kulturellen Felds, der staatlichen Administration und der Ökonomie des Marktes. Dieser Prozess, der heute unendlich weiter fortgeschritten ist, schließt mit den klassischen, aufklärerischen Legitimationsformen der Kultur als Mittel zur Erziehung und städtischer Emanzipation ab. Die Gestaltung eines Typs von kulturellem Kapitalismus, der die Kultur als Mittel zur Durchdringung und postkolonialen Kontrolle sowie als wesentliches Werkzeug für den Transformationsprozess der Ökonomie in den globalen Städten einsetzt, verlangt gegenwärtig nach neuen Formen der Institutionskritik, die sich notwendigerweise mit einer Kulturkritik überschneiden. Es handelt sich im Allgemeinen darum, die Kritik am Museum als archetypischen, institutionellen Raum zu überwinden und eine allgemeine Kritik an den Funktionen voranzutreiben, die das kulturelle und künstlerische Feld im Kapitalismus der semiotischen Produktion erfüllen. So können solche Diskurse und Praxen gestärkt werden, die nicht der Reproduktion und Erneuerung der mächtigen Maschinerie Kultur‑Staat‑Markt dienen, ohne jedoch zu verhindern, dass Konflikte im Inneren dieser Maschinerie ausgelöst werden. Der erste Abschnitt von Brumaria 5 ist eine Sammlung von Texten, die die neoliberale Hegemonie im Kunstfeld kritisieren, aktuelle Legitimationsformen politischer Kunst und subalterne kulturelle Praxen zur Diskussion stellen sowie kritische und politisierte Erfahrungen im Bereich der Kultur- und Kunstinstitutionen beschreiben. Es handelt sich um ein Kompendium von so heterogenen Positionierungen, dass es scheint, als ob einige nur die Ablehnung einer a‑priorischen Landkarte teilen, die lediglich das Innen und Außen der Institutionen aufzeigt. Dieser kleinste gemeinsame Nenner macht sie nicht notwendigerweise praktisch kompatibler. Wenn wir von neuen Figuren des Engagements sprechen, beziehen wir uns in erster Linie auf eine interne Analyse der antagonistischen Phänomene und Formen nicht‑kapitalistischer, sozialer Organisationsformen, ein von Colectivo Situaciones zur Anwendung gebrachtes Modell, das in bestimmten neuen Räumen politischer Autonomie eine große Wirkung entfaltet hat. Indem sie die Differenzierung Subjekt/Objekt, den Garanten für Objektivität in den analytischen Modellen der Sozialwissenschaften zurückweisen, eröffnen uns Situaciones eine Möglichkeit, einen neuen Typ politischen „Engagements“ ausgehend von kulturellen und künstlerischen Praxen zu denken, der mit der klassischen Figur der Intellektuellen bricht, die die Bewegung „begleiten“. Dieses sich in der Situation ständig verändernde Modell schlägt eine Art Mituntersuchung vor, die die intellektuellen und aktivistischen Werkzeuge sowie die unterschiedlichen Wissen in einer Praxis hierarchiefrei gemeinschaftlich werden lässt und derart die den Kämpfen und autonomen, sozialen Organisationsformen innewohnenden Schilderungen und Beschreibungen zirkulieren lässt. Daher benennt Marta Malo de Molina ihre Genealogie jenes weiten Erfahrungsspektrums zwischen Untersuchung und Militanz, die die zweite Hälfte des vergangenen Jahrhunderts bis zur Gegenwart durchqueren, Gemeinbegriffe.[7] Eine Landkarte von der Hand zu weisen, die lediglich die inneren und äußeren Grenzen der Kunstinstitution vorweg nimmt, eine solche Landkarte, die den Interessen der institutionellen Erneuerung und Reproduktion dient, heißt die Frage nach der Autonomie gegenüber den Institutionen völlig neu zu denken. In einer kürzlich erschienen Publikation sprach das französische Kollektiv Bureau d’Etudes beinahe ketzerisch von der künstlerischen Autonomie, nicht um sich, wie Brian Holmes erklärte, auf die Autonomie des Werks, sondern auf die Autonomie der Praxen zu beziehen. Die Abschnitte in Brumaria 5 zu Überschuss, Exodus, Autonomie und nicht‑staatlicher Öffentlichkeit ziehen verschiedene Ideen in Betracht, wie man neue Erfahrungen in Angriff nehmen kann, die die Dichotomie Innen/Außen der Institutionen durchqueren und so überschießende politisch‑künstlerische Praxen schaffen, die stets darauf drängen, Prozesse sozialer Autonomie in Bewegung zu versetzen. Alles in allem machen die von uns hier reproduzierten Texte einen nicht‑fetischisierten Gebrauch von Konzepten wie „Exodus“ oder „nicht‑staatliche Öffentlichkeit“; so wird es möglich, dass die Idee der Autonomie nicht mit einem mystifizierten „Außen“ korrespondiert, sondern auf Prozesse einer nie abgeschlossenen, kollektiven Selbstinstitution verweist. In einigen Fällen wird sogar ausdrücklich Kritik geübt an einem möglichen fetischisierten Derive bestimmter heute weit verbreiteter Ausdrücke (Exodus, Multitude, Autonomie...). Unsere sieben Abschnitte sollen nicht als hermetische und selbstreferentielle Achsen verstanden werden. Ganz im Gegenteil gibt es eine Reihe von Thematiken, Diskussionssträngen und unterirdischen Strömen der Ideen-Kraft, die diese Abschnitte mit Widersprüchen, Gegenüberstellungen, inszenierten oder latenten Dialogen durchqueren oder verknüpfen. Das Konzept der künstlerischen Autonomie wieder zu erwägen, nach der Bedeutung der Theorie des „Exodus“ oder der „nicht‑staatlichen Öffentlichkeit“ im Kunstfeld zu fragen sowie die Wichtigkeit solcher Konzepte in der gegenwärtigen Neuanordnung Kunst‑Politik‑Aktivismus abzuschätzen, führt direkt zur Notwendigkeit darüber nachzudenken, wie ein bestimmter Typus von Erfahrungen, der in der Tradition der politisierten Kunstavantgarde steht, in die Formen politischer Autonomie einsickern kann. Es ist wohlbekannt, wie in den Anfängen der 1990er Jahre die Redaktion der italienischen Zeitschrift Luogo Comune den Ausdruck General Intellect aus einer Passage der Marx’schen Grundrisse aufgriff, um das Konzept der „Massenintellektualität“ ins Zentrum ihrer Analyse und Kritk der jüngsten kapitalistischen Revolution zu stellen.[8] Mit der Idee der kooperativen Arbeit wollen wir einerseits auf die zentrale Stellung der Kooperations‑ und Austauschformen anspielen, die gegenwärtig die Basis der sozialen Produktion sind, andererseits möchten wir auf bestimmte Formen der Kollaboration und Kooperation mit den neuen sozialen Bewegungen hinweisen, die sich seit den 1990er Jahren in einer Vielzahl von künstlerisch‑politischen Praxen entfalten. Es gibt viele Kollektive wie Grupo de Arte Callejero oder Etcétera in Argentinien, La Fiambrera und Las Agencias in Spanien, Ne pas plier oder Aaarrg in Frankreich, die in den Kanälen und Räumen der Anordnung staatlich‑kapitalistischer Herrschaft (Kommunikationsmittel, metropolitane Zentren) begannen, wilde Interventionen in die Zirkulation der Zeichen zu machen, um dann dazu überzugehen, die Produktion jener Zeichen und Werkzeuge in kollaborativen und kooperativen Situationen einer kollektiven Produktion zu erforschen, Hand in Hand mit den neuen globalen sozialen Bewegungen, die aus dem Inneren der liberalen Hegemonie oder aus Wachstumsprozessen der globalen Bewegung hervorgingen. Wie What, How & For Whom betonen, unterscheidet sich diese Perspektive deutlich davon, unschuldig „eine Arbeitsgruppe“ als eine Art idealisiertes Allheilmittel einzufordern; es heißt vielmehr, die künstlerische und kulturelle Arbeit als etwas mit den aktuellen Formen der Massenintellektualität in Verbindung Stehendes zu denken. Die letzten zwei Abschnitte greifen das Problem der Beschreibungsform auf. Die Texte bieten verschiedene Modelle der Beobachtung (aber niemals eine „Erklärung“) aktueller Protestformen und autonomer politischer Produktion an, wie sie auch Erzählungen und Beschreibungen wagen, die sehr nahe an einem kartographischen Bild von Genealogien oder diagrammatischen Geschichten sind. Was alle diese Modelle gemein haben, ist die Vereinigung eines Typs von Wissen und in sich sehr heterogenen Ressourcen: Um es in aller Kürze zu sagen: Manchmal fügen sie Werkzeuge der engagierten, militanten Untersuchung mit deskriptiven, der Tradition der Kunstkritik oder den Ästhetiken der Avantgarde entlehnten Modellen zusammen; in anderen Fällen schließen sie Historiographien kurz, die die Kunstgeschichte von der Geschichte der antisystemischen Bewegungen zur Herstellung gemischter Genealogien isolieren, in denen die Beziehungsfelder Kunst/Politik vollständig reformuliert werden. Die internationale Konferenz Klartext war ein singuläres Ereignis, ein Symptom für die zentrale Stellung, die das Politische und die neuen Formen des sozialen Protagonismus in den letzten Jahren eingenommen haben. Vierzig KünstlerInnen, Kollektive, AktivistInnen, KulturvermittlerInnen und TheoretikerInnen wurden dazu eingeladen, im Rahmen der viel diskutierten und widersprüchlichen „Repolitisierung der Kunst“, „über den Status des Politischen in den aktuellen künstlerischen und kulturellen Praxen nachzudenken“. Der Eröffnungsabend mit Marius Babias, Brian Holmes und Hans Haacke gab die Diskussionslinien vor, die die Konferenz antreiben sollten, und demonstrierte auch die Widersprüche und Spannungen, mit denen Kunstinstitutionen konfrontiert sind, wenn sie sich für die Aufwertung des heterogenen Feldes der neuen künstlerischen, kuratorischen und kritischen Praxen interessieren, die wir konventionellerweise als „politisierte“ bezeichnen würden. Marius Babias legte dar, wie die Grenzen einer Kritik an der kapitalistischen Herrschaft der Kultur sukzessive Prozesse der „Ästhetisierung des Politischen“ verstärken: eine die Phänomene der künstlerischen Guerilla entschärfende Ästhetisierung, die sich als Spiegelung der politischen Radikalisierungen im kulturellen Feld ausgibt (Babias gab einen Überblick, der heterogene Referenzpunkte miteinander verwob: die RAF, die Situationistische Internationale oder den postmodernen Widerstand der 1990er Jahre: Group Material, Guerilla Girls). Der gordische Knoten der „politischen Kunst“ verbleibt so in dieser Unsicherheit: Endet es immer mit der Stabilisierung des kritisierten Modells? Aus dieser Frage lassen sich drei Dilemmata ableiten: Wie gelangt man jeweils über eine Kritik hinaus, die sich selbst absorbiert? Wie können kommunitaristische Gegenmodelle zum Modus der individualistischen Subjektivierung entwickelt werden? Wie können erfolgreiche partizipative Prozesse generiert werden, die sich nicht in einem Typus „sozialer, voluntaristischer und romantischer Dienstleistung“ einfangen lassen? Trotz seiner schwerwiegenden Kritik vergaß Babias nicht darauf, einen Ausweg anzudeuten. Die stets mächtiger werdenden Formen der Indienstnahme kritischer Praxen durch den kulturellen Kapitalismus öffen auch Räume für neue kritische Phänomene. Babias verwies auf drei dieser Phänomene: die erneuerten Formen der Institutionskritik, die Kooperation mit Aktivsmus aus dem Inneren des Kunstsystems heraus sowie die künstlerischen Praxen, die sich selbst als politische und aktivistische Bekundung begreifen. Brian Holmes kompensierte Babias‘ angebrachten Pessimusmus mit einem eigenwilligen Optimismus, der sich auch auf 1968 bezog (Tucumán arde und die Radikalisierung der Kunst im Argentinien dieser Zeit), um so eine organische und weniger ideologische Schilderung als der vorherige Redner aufzubauen, indem er das Innere der Phänomene und nicht eine vorschriftsgemäß von außen kritisierende Analyse als Ausgangspunkt wählte. Bezeichnenderweise lief die Schlussfolgerung von Brian Holmes mit der von Babias zusammen. Der „trügerischen Transparenz“ der gegenwärtigen „täuschenden Demokratien“ muss durch den „konstituierenden Exodus“ entgegengewirkt werden. Notwendigerweise müssen jene Praxen, die gleichzeitig in einem politischen und symbolischen Territorium operieren (und die ihre Kraft von einer konstanten Transversale zwischen politischen und ästhetischen Praxen der metropolitanen Bewegungen der 1990er Jahre bis zu den globalen Bewegungen beziehen), Räume der Autonomie aufbauen, von wo aus es dann möglich wäre, auch instituierte Mechanismen zu beeinflussen. Die von Holmes dargelegte Hypothese des „Exodus“ (leise anklingend an eine Genealogie, die den Zapatismus, Paolo Virno, Toni Negri und Colectivo Situaciones umfasst) negiert zugleich die Existenz „eines“ Systems und „eines“ Außen. Die Theorie des Exodus versteht die Funktion der Kultur in der kapitalistischen Wertproduktion heute, weist beharrlich auf die stabilisierten, jedoch niemals absoluten Machtknoten hin und macht vor allem die konkreten Formen sichtbar, mittels derer die neuen autonomen Praxen die Dispositive des Einschlusses der institutionellen Vermittlungssysteme überschreiten. Ein solcher Überschuss stellt sich zum Preis der stetigen Veränderung her: Namensänderungen und Positionsverschiebungen, die dazu verpflichten, die Affirmations- und Konfliktstrategien nach gelegentlichen taktischen Rückzügen in Richtung Neuzusammensetzung, Verschwinden oder Latenz jedes Mal neu zu erfinden. Dieser widersprüchliche, konfliktreiche und stetige Prozess der Selbstinstitutierung und Selbsterfindung von Praxen lässt sich als Essenz der politischen und ästhetischen Produktion vorschlagen. Hans Haacke sollte als Eckstein im Erzählungsaufbau über die Aktualität des Politischen in der Kunst dienen, der seine eigene geschichtliche Dichte denkt sowie seine Filiationen mit dem Zyklus der 1968er und mit den historischen, politisierten Kunstavantgarden. Das Ergebnis hätte kaum enttäuschender ausfallen können. Dass seine Intervention scheiterte, war zweifellos dem schlechten Interview durch die Historikerin Susanne von Falkenhausen geschuldet. Auf diesem Panel zeigte sich aber vor allem eine Unfähigkeit zu erkennen, auf wie vielen verschiedenen Wegen die von Haacke repräsentierte Tradition „überschießender“ Praxen, vom Minimalismus bis zur Institutionskritik zu einem Spektrum an Praxen führen, die den Charakter und die Grenzen einer im Rahmen der Institution stattfindenden Kritik heute ins Lächerliche ziehen; einen Aspekt, den Babias und Holmes auf unterschiedliche Weise brillant dargelegt hatten. Dieser Exkurs hatte nicht eine rein anekdotische Funktion. Die ständige Kollision zwischen „formatierter“ Kritik und Vorschlägen des Überschusses und des Exodus der ästhetischen Praxen in Richtung neuer Formen des politischen Konflikts lud den Zusammenhang der Konferenz mit Spannungen auf. Es ist dringend notwendig verstehen zu lernen, was in der Praxis hinderlich ist für die Vereinbarkeit der beachtlichen Arbeit der Gruppe kpD (kleines postfordistisches Drama) zu den neuen Figuren der kulturellen Produktion und dem notwendigen Prozess einer politischen Organisation der sozialen Prekarität, für den Alex Foti von den Chainworkers eintrat. Wieso stoßen sich herausragende DenkerInnen wie Chantal Mouffe oder Jacques Rancière an der Kommunikationsguerilla‑Praxis der Yes Men oder an der Grupo de Arte Callejero (GAC), die sich in die argentinischen Bewegungen einfügen, und ziehen sich von diesen Praxen zurück? Und warum schaffen es viele der Vermittlungsmodelle nicht, wirkliche Dynamiken an der Schnittstelle von Kunsträumen und neuen sozialen Bewegungen zu stärken? Das Abschlusspanel der Konferenz, das sich fälschlicherweise selbst zum intellektuellen Richter des Magma der in den vorangegangenen Tagen dargelegten Praxen ernannte, war die bedauernswerte Übung eines paternalistischen Fürsprechens für den „Hunger nach Aktivismus“ (Irit Rogoff). Viele der Fragen hallten vom ersten Tag an in den Diskussionen wider: Wie können neue Allianzen zwischen Kunst und Aktivismus geschaffen werden? Bis wohin wollen wir in der Radikalisierung der neuen kulturellen Praxen gehen? Diese Fragen werden ohne Antwort bleiben, wenn wir nicht anerkennen können, dass die aktuelle zentrale Stellung des Politischen sowie die Infragestellung der neobliberalen Hegemonie nicht vom Himmel fallen: Sie ist zurückzuführen auf die besonders schwierige Neuzusammensetzung einiger Formen des sozialen Antagonismus von unten, dessen Konsistenz schon unumstößlich ist und den wir von den Marmortürmen der Kulturtheorie aus nicht gering schätzen dürfen, ja nicht einmal falsch interpretieren. http://transform.eipcp.net/correspondence/1134816059 [1] Auf der Website von republicart finden sich einige der in Brumaria 5 inkludierten Materialien in mehreren Sprachen: http://eipcp.net/transversal oder www.republicart.net. [2] Bei Klartext handelte es sich um eine Konferenz über den Status des Politischen in aktueller Kunst und Kultur http://www.klartext-konferenz.de; Disobedience ist eine Videothek im Werden, auf der Materialien zur Repräsentation des Widerstands seit den 1960ern zu finden sind http://www.pushthebuttonplay.com/dlwd/scotini/disobedience/pdf/disobedience_press_en.pdf; hack.it.art, zur Gegenwart von Hacktivismus im Kontext von Kunst und Medien in Italien: http://www.ecn.org/aha/hackitart.htm. Die Konferenzen hack.it.art und Klartext fanden beide in Berlin im Jänner 2005 statt. [3] Ein komplexes und lange andauerndes Untersuchungs‑ und Ausstellungsprojekt, das von Alice Creischer und Andreas Siekmann durchgeführt wurde und zum ersten Mal im Ludwig Museum in Köln im Jahr 2004 unter dem Titel Schritte zur Flucht von der Arbeit zum Tun gezeigt wurde, http://www.exargentina.org, für eine Reflexion der im Projekt gemachten Erfahrungen siehe http://transform.eipcp.net/transversal/0406/crs/de [4] Ausstellung zur jüngsten Geschichte und Aktualität künstlerisch‑politischer Praxen, die vom Kollektiv What, How & for Whom aus Zagreb 2005 im Fridericianum in Kassel organisiert worden war: http://www.fridericianum-kassel.de/ausst/ausst-kollektiv.html. [5] Desacuerdos. Über Kunst, Politiken und öffentliche Sphäre im spanischen Staat würde einen eigenen ausführlichen und detaillierten Kommentar verdienen, mit der Vielfältigkeit der Widersprüche, dem Scheitern, den Fehlern und Spannungen, die sich in der ursprünglichen Form entfalteten, da Desacuerdos ein weitreichendes Dispositiv einer inter- und außerinstitutionellen Arbeit schuf und v.a. wegen seiner Bedeutung als Raum des Experimentierens mit Formen der künstlerisch–politischen Untersuchung, der sich zugleich als begrenzte und gefährliche Möglichkeit auftat. Vgl. die Publikationen der Reihe Desacuerdos 1 und 2, Arteleku/Macba/Unia, Barcelona, 2004 und 2005, nur teilweise online abrufbar unter http://www.desacuerdos.org. [6] Eine Sichtbarkeit, die trotz ihrer Nuancen, Einschränkungen und ihrer indirekten Ausrichtung stark attackiert wurde, vgl. die kritische Rezeption von Catherine Davids Documenta X (1997) und der Berlin Biennale von Ute Meta Bauer (2004). Es schien, dass „das Politische“ in der Kunstinstitution für immer den Status eines Fremdkörpers haben wird. Vgl. auch Alexandro Albertos exzellente Analyse einer Vielzahl von Kritiken zu diesen zwei Ausstellungen in der internationalen Kunstpresse und nicht‑spezialisierten, weit verbreiteten Zeitschriften, in der er deren anti–politische und anti–feministische Substrate seziert: How to look at Art-Talk, Aesthetics, Capitalism, OCA (Office for Contemporary Art), Norway, 2004, http://www.oca.no/publications/verksted2_3_2005/verksted2_3_2005.html. [7] Der erste Teil diese Textes ist online abrufbar unter http://transform.eipcp.net/transversal/0406/malo/de [8] Vgl. „La República de la Multitud“, Interview mit Paolo Virno in Brumaria, nº 3, 2004, online auch in Englisch unter http://www.generation-online.org/t/republicmultitude.htm [9] Im „Klartext“: mit Klarheit sprechen, wie in der Übung der parrhesia, die Gerald Raunig als Basis für einen neuen Typus von Institutionskritik einfordert, vgl. Die doppelte Kritik der parrhesia. Beantwortung der Frage „Was ist eine progressive (Kunst-)Institution?“: http://eipcp.net/transversal/0504/raunig/de |
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