04 2006 Schritte zur Flucht von der Arbeit zum Tun
Kann künstlerische Arbeit eine militante Untersuchung sein? – Ein Erfahrungsbericht im Projekt „ExArgentina“ Alice Creischer / Andreas Siekmann
Kann künstlerische Arbeit eine militante Untersuchung sein
Bevor
wir diesen Erfahrungsbericht beginnen, müssen wir erklären,
was das Projekt ExArgentina war: ExArgentina
war ein Projekt, das von der deutschen Bundeskulturstiftung
finanziert und organisatorisch vom Goethe Institut Buenos Aires
unterstützt wurde. Seine thematischen Ausgangspunkte
waren die Wirtschaftskrise und die Aufstände in Argentinien im
Dezember 2001. Es bestand aus verschiedenen
Etappen: Von November 2002 bis Mai 2003 hielten wir uns in Buenos
Aires auf, wir lernten verschiedenen Gruppen und KünstlerInnen
kennen und begannen einen Prozess der Zusammenarbeit und Diskussion,
der über drei Jahre dauern sollte und der auch jetzt nicht zu
Ende ist. Wir kehrten nach Berlin zurück und veranstalteten dort
im Herbst den Kongress: „Pläne zum Verlassen der
Übersicht“, in dem die theoretischen und methodischen
Fragestellungen, die sich bisher herauskristallisiert hatten,
zusammen mit Leuten aus Europa diskutiert werden sollten. Im März
2004 gab es die Ausstellung: "Schritte
zur Flucht von der Arbeit zum Tun" im
Museum Ludwig, Köln. Ein Teil der Ausstellung wurde im
September 2004 in der Ausstellung: "Wie wollen wir regiert
werden" in einem Centro Civico im Stadtteil Las Minas in
Barcelona gezeigt. In diesem Frühjahr schließlich
ereignete sich der letzte Teil von ExArgentina im Palais de Glace,
einer städtischen Institution in Buenos Aires. Es gab während
der Ausstellungsdauer ein dreiwöchiges Diskussionsprogramm, das
an verschiedenen dezentralen Orten stattfand: im besetzten Hotel
BAUEN, in der besetzten Druckerei Chilavert, in der Kasa de los
H.I.J.O.S. (Organisation der Kinder der während der
Militärdiktatur verschwundenen Personen) und in dem alternativen
Medienzentrum La Tribu. Wichtig ist außerdem zu erwähnen,
dass der dritte Teil des Projektes von den KünstlerInnen Loreto
Garin, Eduardo Molinari und Federico Zukerfeld in Buenos Aires
kuratiert wurde. Dieser interne Prozess – die Diskussion von
Hierarchien und SprecherInnenpositionen – könnte eine der
Konsequenzen einer „militanten Untersuchung“ sein.
Es wäre
falsch, unseren Erfahrungsprozess in diesem Projekt als Übergang
zwischen zwei theoretischen Modellen zu bezeichnen: das der
Genealogie und das der militanten Untersuchung. Allerdings helfen
diese Modelle diese Erfahrung zu beschreiben. Wir
fuhren mit dem Anliegen nach Buenos Aires, eine Art genealogische
Praxis zu beginnen mit der wir den Versuch einer Erklärung der
politischen und wirtschaftlichen Krise, die 2001/2002 in Argentinien
stattfand, unternehmen wollten. Wir bezogen uns dabei auf einen
Genealogiebegriff, den Foucault in seinen Vorlesungen am College de
France 1976 entwickelte. Er beginnt diese Vorlesungen mit einer Klage
über die Mangelhaftigkeit seiner Forschung. Sie sei
fragmentarisch, diskontinuierlich, eine unnütze Gelehrsamkeit.
Wenn er versucht, diese Nutzlosigkeit zu verteidigen, dann nicht, um
das Gegenteil zu beweisen – also Effizienz –, sondern um ein
kritisches Potential nachzuweisen, eine partikulare und lokale Kritik
einer autonomen, nicht zentralisierbaren theoretischen Produktion,
die wie ein Bremsklotz auf globale und zentrale theoretische
Produktionen wirken würde. Er spricht dabei auch von einer
„Wiederkehr des Wissens“, das von den repräsentativen
Systemen zugedeckt wurde, ein lokales, differentielles, nicht
universales Wissen. Es geht um eine Verbindung der unnützen
Gelehrsamkeit, die (wie ja auch der Kunst nachgesagt wird) `zu nichts
führt`, mit diesem disqualifizierten Wissen, dem „Wissen der
Leute“. „Als Genealogie bezeichnen wir die Verbindung von
gelehrten Kenntnissen und lokalen Erinnerungen, eine Verbindung, die
es ermöglicht, ein historisches Wissen der Kämpfe zu
erstellen und dieses Wissen in aktuelle Taktiken einzubringen.“
Wenn Foucault schließlich von einem Aufstand des
unterdrückten Wissens mit den Methoden einer nicht
effektivierbaren Wissenschaft spricht, dann geht es in erster Linie
um eine Sichtbarkeit dieses Wissens. Diese Nichteffizienz der
Methoden, die sichtbar machen, schien uns übertragbar zu sein
auf das Reservoir von künstlerischen Kategorien, die ihre
optischen Instrumente in ihrer Anmaßung von Autonomie sehr fein
geschliffen haben. Deswegen wollten wir die Methode der Genealogie
auf unseren Versuch eines „Close Readings“ der argentinischen
Krise übertragen. Es ging uns um die Suche nach einer
Darstellungsweise, „wie man das Wahrgenommene und die
Schlussfolgerungen, die Empörung und die Solidarität, so
erinnerlich halten kann wie ein Gedicht oder ein Bild, das erst in
dieser Form zur ‚aktuellen Taktik’ werden kann.“ (So haben wir
es in unserem ersten Konzeptpapier formuliert.)
Wir
entwickelten zunächst konkrete Fragestellungen: Welche der
argentinischen Krise vergleichbaren Fälle gibt es – z.B.
Mexiko 1994, Russland 1995, Asien 1997? Wer sind die ProtagonistInnen
der Krise? Warum werden nicht die neuen Investorenbauten und
Shoppingmalls, sondern immer nur die brennenden Reifen der
Straßenbarrikaden in ein Bild gefasst? Wie sind die
Zusammenhänge zwischen politischen Apparaten und ProfiteurInnen?
Aus welchen Blickwinkeln entstehen Erklärungsmuster? Wie viel
„äußerer Feind“ wird benötigt, um Abhängigkeiten
zu exportieren, oder wie viel „innere Krise“ wird prognostiziert,
um weltwirtschaftliche Abhängigkeiten zu übersehen? Welche
identitären Bilder stiftet die Krise und wie kann man dagegen
arbeiten? Diese Fragestellungen verschwanden in den ersten Wochen.
Sie landeten da, wo man in den Buchläden zwei Stapel sehen
konnte: auf dem einen wurden eine Menge Bücher angeboten, die
die Krise und die Korruption in Argentinien analysierten. Der andere
bot psychologische Ratgeber und Selbsthilfeliteratur an. Diese beiden
Stapel waren für uns das Symptom eines bürgerlichen
Dilemmas: Es gibt eine permanente Analyse und Kritik der politischen
Gegenwart, die vielleicht keine soziale Verbindung hat, außer
zum Knast der Selbstoptimierung.
Wieviele
Kollaborationen und Übersetzungspannen braucht man, um diese
Geopolitik in der eingeschriebenen Karte der BetrachterIn zu
modifizieren?
Es schien
zunächst, als ob wir uns durch die KünstlerInnen und
Gruppen, die wir kennen lernten, von einer Analyse eher entfernten,
weil wir in einen Prozess der gesellschaftlichen Solidarität und
politischen Selbstorganisation involviert waren, den wir bisher nicht
kannten. Es fällt uns schwer, diesen Prozess zu beschreiben,
ohne Gefahr zu laufen, Kitsch zu reproduzieren: Kämpfe auf der
Straße, Versammlungen in besetzten Fabriken, Empörung über
die alltägliche Repression der Polizei. Wir glauben weniger an
die Bilder, die in dieser Zeit für diese Kämpfe produziert
wurden, als eher an die Anwesenheit und Erfahrung in einer
spezifischen Situation, die nicht dazu taugt, ein reproduzierbares
Modell zu sein.
Wie erinnert man eine solche Situation? Wie teilt man ihre Inhalte
mit? Wir beobachteten, wie sich die „Intellektuellen“
zu dieser Situation verhielten. Uns fiel auf, dass es anscheinend zum
Job der Intellektualität gehört, immer fähig zu sein,
zu beurteilen und das eigene Gleichgewicht zu wahren – wie wenn man
in einer Loge sitzt und ein Theaterstück betrachtet: Wie radikal
sind die Arbeitsloseninitiativen heute? Wann werden die sozialen
Bewegungen von wem vereinnahmt und wo sind die ersten Symptome dafür?
Welche Utopien werden entwickelt und sind sie historisch stringent?
Es wurde sehr deutlich, dass „Urteilskraft“ einen
gesellschaftlichen Status definiert, deren TeilhaberInnen darauf aus
sind, diesen Status zu wahren. Das Innehaben von politischer Kritik,
das aus dem Gefängnis der eigenen Interessensvertretung nicht
entkommen kann. Es stellte sich heraus, dass dieses Urteilen nach den
immanenten Kategorien von Regierung oder einer gesellschaftlichen
Bilanzierung funktioniert.
Wir
lasen in Buenos Aires John Holloways Buch „Die Welt verändern,
ohne die Macht zu übernehmen“, das gerade auf Deutsch
herausgekommen war.
Wir konnten die Kritik des Fetischbegriffs auf diese Form der
Intellektualität und ihrer unhinterfragten Objektivierung
anwenden und wir konnten endlich auch eine Kritik des Fetischbegriffs
in der Kunst denken, die sich nicht platt auf die Warenform
reduzieren ließ, sondern ihren Universalitätsanspruch
selbst meinte. Uns wurde eine Form der Negation bewusst, die wir
später in der Ausstellung folgendermaßen geschildert
haben: „Sie stehen vor einem Vorhang aus schwarzem Paillettenstoff,
auf dem ein Comic appliziert ist. Es ist die Geschichte vom
sagenhaften Magier Mr. Invisible Hands. Er zaubert Hasen-Subjekte aus
seinem Zylinder, die nach den Regeln von Konkurrenz und Existenzangst
ihre Saltos schlagen und ihre Stellungen klären, bevor sie
wieder in den Zylinder verschwinden, um erneut herausgeschleudert zu
werden – in die prästabilisierende Harmonie des
kapitalistischen Systems. (Diese Angst nährt die Existenz der
Zylinders.) Diese Geschichte ist dem Begriff der Negation gewidmet,
der in der bürgerlichen Philosophie eine besondere Festlichkeit
hat. Es ist so, als ob der Verstand, der das Privileg hat, das Elend
der kapitalistischen Harmonie einzusehen, seine Spaltung feiert,
abends die Sektgläser leert und an die Wand wirft und am
nächsten Morgen verkatert ins Büro schleicht.“
Holloway entwirft eine Negation, die das Nein zur Hasen-Harmonie
als Beginn eines gesellschaftlichen Handelns versteht. Es gelingt
ihm, das „Nein“ von den
verschiedenen Vergeblichkeitsurteilen zu suspendieren, mit denen es
so oft verknüpft wird, weil ihm scheinbar die historische
Perspektive fehlt. Negation bedeutet auch die Weigerung, ein
nachrevolutionäres Szenario zu entwerfen mit seinem neuen
Staat, seiner neuen Gesellschaft oder seiner neuen Arbeit. Uns
gefiel der Topos der Flucht und des Verlassens bei Holloway, der
anders einsetzbar war als der Topos des Krieges / der Kämpfe bei
Foucault. Kurz vor unserer Rückkehr nach Deutschland gab es in
Buenos Aires eine Veranstaltung, die den bisherigen Stand unseres
Projektes schildern sollte. Sie hieß: „Pläne zur Flucht
von der Arbeit zum Tun“ und übersetzte dieses Konzept der
Negation auf unsere Erfahrungen im Projekt wie folgt: „Im
November des letzten Jahres sind wir nach Buenos Aires gekommen, um
ein Projekt zu beginnen, das so präzise wie möglich über
die Ökonomie informiert, die die sogenannte Krise in Argentinien
verursacht hat, über die Zusammenhänge der Macht zwischen
den internationalen und den lokalen Oligarchien und welche Linien
sich bilden zwischen dieser Macht in ihrer scheinbaren Abstraktion
und dem Elend, das sie verursacht. Aber wir haben hier keine bloßen
Informanten angetroffen, sondern Personen, die in etwas involviert
sind, das wir ‚Flucht von der Arbeit zum Tun’ nennen möchten.
‚Flucht von der Arbeit’ bezeichnet einerseits die Kapitalflucht,
den Rückzug der Investoren von einer verlorenen Wette, das
Aufgeben von Industrien und damit aber auch das Ende einer
Ausbeutungsform, die in Arbeitsplätzen organisiert war.
Gleichzeitig bedingt diese Flucht auch eine weitere Entrechtung in
der noch vorhandenen Arbeit, eine extreme Repression und Vertreibung
derjenigen, die arbeitslos sind. Andererseits kann ‚Flucht von
der Arbeit’ auch alle Formen von Selbstorganisation der Leute
bezeichnen, die vom Kapital und seinen RegierungsfunktionärInnen
zurückgelassen wurden. Es kann bedeuten, dass diese
Unverwertbarkeit eine Freisetzung ist zu dem, was man als
gesellschaftliches Tun bezeichnen kann. Dieses Tun ist der Gegensatz
zur Arbeit, es ist nämlich ein Handeln, das nicht mehr
abgetrennt ist von der Umgebung und dem Leben, in dem es
stattfindet. Diese Freisetzung geht die Institution Kunst
besonders an, weil dort ‚Arbeit’ meistens ganz exemplarisch
abgehandelt wird – in der Abtrennung von Kontexten und dem Zwang,
universale Gesten zu finden, um wert zu sein. Es stellt sich die
Frage, wie diese Verschiebungen geschildert werden können in
einen hegemonialen Feld, das so häufig die Bilder ausbeutet und
ihre Mitteilungen schleift, sodass jede Aussage unsichtbar wird. Es
erwies sich deswegen als notwendig, parallel zur Diskussion der
Inhalte auch eine Diskussion der künstlerischen Methoden zu
führen. ‚Pläne zur Flucht von der Arbeit zum Tun’
bedeutet deswegen auch, einen Fluchtweg aus der politischen
Ausdruckslosigkeit dieser Institution zu finden. Das ist nicht nur
eine Frage der Information oder der Darstellungsmethoden, sondern
eine Frage, mit wem man sein Leben teilt und für wen man sich
engagiert.“ Wir zitieren diese Passage in der Pressemitteilung
deswegen so ausführlich, weil sie die Erfahrung zusammenfasst,
die wir im Laufe des Projektes gemacht hatten. Wir kommen nun zum
Schluss auf den Begriff der „militanten Untersuchung“ zu
sprechen, den wir in den Diskussionen mit Colectivo Situaciones
wieder entdeckten und der für uns jene Involvierung auf den
Punkt bringt und jenes affektive Verhältnis zum „Gegenstand
der Untersuchung“ beinhaltet, in dem das Subjekt sein Amt als
Instanz niederlegt. Wir haben in der Ausstellung in Köln
künstlerische Arbeiten unter anderem diesem Begriff zugeordnet.
(Wir hatten insgesamt vier Begriffe, denen wir Arbeiten zuordneten:
Negation, militante Untersuchung, Kartografie und politische
Erzählung). Aber letztendlich betraf dieser Begriff das gesamte
Projekt, weil alle TeilnehmerInnen sich sehr damit identifizierten.
Wir haben „militante Untersuchung“ als Arbeitsweise zunächst
ausschließlich auf aktivistische und kollektive Arbeitsweisen
bezogen, wie Tucuman Arde, die Performances der Grupo etc. während
der Escraches, die Schilder der Grupo de Arte Callejero auf
Demonstrationen.
Aber im Nachhinein erscheint uns das zu eng. Wir hatten lange
Diskussionen über den Import von Aktivismus in die Institution,
in denen schnell polarisiert wurde zwischen „Straße“ und
„Museum“, um schließlich beide Orte eigentlich nicht zu
hinterfragen. Die Orte wurden vielmehr zu Kriterien erhoben.
Aktivismus ist nicht unantastbar, wir fanden viele aktivistische
Äußerungen universalisierend, grob und paternal. Wir
fanden es auch bezeichnend, dass viele Folgeeinladungen für die
KünstlerInnen des Projektes sich ausschließlich auf
aktivistische Arbeiten bezogen, so als ob professionelle KuratorInnen
Aktivismus mit einer extremen Aktualität in Verbindung bringen –
die neuesten Nachrichten, die schon morgen von den nächsten
überdeckt werden. Im Projekt stellte sich heraus, dass militante
Untersuchung nicht so sehr eine Diskussion der Verortung ist, und
erst recht nicht eine Diskussion, in der man seine Individualität
vergessen und eine Bewegungsidentität eingehen kann. Militante
Untersuchung war für uns eine explizite Methodendiskussion.
Diese Methodendiskussion orientiert sich schließlich doch
wieder an der Ethik der Genealogie: wie genau muss man zuhören,
wie präzise muss man denken, wie vehement muss man vorgehen
gegen die Repressivität des Es-nicht-genau-wissen-wollen? Welche
Bilder kann man finden, wie kann man die eigene Erfahrung in ihnen
vergegenwärtigen und wie kann man in ihnen das eigene
Involviertsein schildern? Welchen Grad der Glaubwürdigkeit, des
Vermittlungsinteresses an die BetrachterInnen und der eigenen
Überprüfbarkeit der Arbeit kann man erreichen?
Interessanterweise wurde in den Ausstellungsrezensionen vielen
Arbeiten von ExArgentina der Kunstcharakter abgesprochen –
vielleicht genau deswegen, weil sie dem Universalitätscharakter
von Kunst widerstreben und vielleicht auch, weil sie eine
´partikulare und lokale Kritik waren: autonom, nicht
zentralisierbar, wie ein Bremsklotz auf die zentralen theoretischen
Produktionen.
Nachtrag
Wir sind
gefragt worden, noch etwas mehr zum Verständnis von militanter
Untersuchung zu schreiben, wie wir es in dem Projekt erfahren haben.
Die Frage lautete, „wo etwa in eurem Projekt das Subjekt über
die Hintertür wieder sein Amt erschlichen hat?“. Das Subjekt
war dauernd anwesend. (Uns käme es vor wie eine ziemlich
totalisierende Entgrenzung, wenn das Ideal wäre, dass man ganz
in die zu untersuchende Gemeinschaft / das zu untersuchende Feld
aufgehen könnte.) Aber was ist mit seinem „Subjekt-Amt“? Wir
haben versucht, einem normativen Gefälle zu widerstreben, das
sich zwischen KuratorInnen und „KünstlerInnen, zwischen
TheoretikerInnen der Politik oder der Kunst und AktivistInnen oder
KünstlerInnen auftut. Dieses Widerstreben führte zu einer
Menge Konflikten mit Personen, die im Projekt quasi ihres Amtes
enthoben wurden, oder die dieses Widerstreben mit der Egalität
von formeller Basisdemokratie verwechselten – was nicht geht, wenn
man in künstlerischen Debatten nicht gleichgültig werden
möchte. Aber eigentlich waren die Personen in unserem Projekt
nie ohne Amt, sie wechselten die Ämter permanent. Das meinen wir
einerseits ideell: wann man KünstlerIn, AktivistIn, BesucherIn,
PolittouristIn, FreundIn oder TheoretikerIn ist – aber auch
hinsichtlich institutioneller Macht: Uns war es wichtig, dass
KünstlerInnen KuratorInnen werden konnten und umgekehrt, dass
AssistentInnen künstlerische Beiträge machten und
InstitutionsleiterInnen ÜbersetzerInnendienste leisten mussten.
Es war uns auch wichtig, Einfluss zu nehmen auf die oft
unhinterfragten Hierarchien und Machtstrukturen der Institution: Wer
schreibt die Pressemitteilung, wer bestimmt die
Öffentlichkeitsarbeit? Welche Finanziers werden ausgeschlossen
und welche direkt angegriffen, wie z.B. Nelida Blaquier (eine Erbin
des Zucker- und Papierimperiums LEDESMA, das in der Juntazeit
Massaker an ArbeiterInnen verübte), die ein Mitglied des
Fördervereins vom Palais de Glace ist. Wir waren manchmal
unsensibel und konnten nicht glauben, dass man zum Aufhängen der
Poster gegen Nelida Blaquier eben die Beratung eines Anwaltes
braucht, währenddessen wir schon diese Beratung als Zensur
empfanden. In solchen Fällen hatten wir das angenommene Privileg
einer besseren Rechtssicherheit inne. Andererseits waren wir
manchmal durch diese Fluktuation der Ämter den Übergriffen
der Institution ausgesetzt. Aber wir mögen darauf die Theorie
vom Machtvakuum nicht anwenden, sondern vielleicht eher von
persönlicher Libido sprechen.
Oft geschieht
es, dass KritikerInnen / BeobachterInnen / „SymbolanalystInnen“
die Progressivität von politischen Bewegungen unterstützen,
ausrufen und mitfeiern, ohne den Transfer zu ihrem eigenen
Repräsentationsrahmen zu berücksichtigen. Vielleicht liegt
das daran, dass der Widerstandsbegriff zwischen dem kulturellen und
dem politischen Feld anders bewertet bleibt. Widerstand kann die
Zerstörung des Feldes bedeuten, indem man es weiter
beackert. Der Kernpunkt für uns in Bezug auf „Militante
Untersuchung“ war neben der Dekonstruktion von Hegemonie die eigene
Involvierung und der permanente Abgleich. Natürlich ist es ein
historisches Ich, das da involviert ist, mit seinen Erfahrungen und
seinem eigenen Reflexionsraum. Dieses Ich kann und soll nicht die
Stimme einer politischen Gruppe oder einer politischen Situation
sein; wir glauben, dass es darin kein Unisono gibt. Aber es kann
zwischen der erlebten Situation und seiner eigenen Form der Erfahrung
und Reflexionsvermögens oszillierend abgleichen und darin viel
zur Vielstimmigkeit von Solidarität und zur Intensität der
politischen Erzählung und ihres Anliegens beitragen. In dieser
Intensität sehen wir die Chance, mit der künstlerisches
Arbeiten sich zeitweise über die eigene Systemimmanenz
hinwegsetzen kann. (Wer zu stark an die Prädestination des
Kunstsystems glaubt, verachtet letztendlich das Publikum.) Wir würden
Foucault widersprechen: Diese Intensität ist keine Taktik, kein
strategisches Mittel: den Kunstraum besetzen, um politische Aussagen
zu tätigen, sondern eine Liebe zum Tun, in all seinem
politischen Sinn.
---
|
Alice Creischer
biography
Andreas Siekmann
biography
languages
Deutsch
English
Español
transversal
militante untersuchung
|