11 2007 Gegen opportunistische KritikÜbersetzt von Tom Waibel In Bosnien-Herzegowina könnte jeder beliebige Tag der letzten Septemberwoche 2007 als typisch für die Tendenzen der Herrschenden erachtet werden: Der hohe Repräsentant kritisiert die ethno-nationalistischen Eliten scharf wegen der Nicht-Unterzeichnung einer Vereinbarung zur Polizeireform – durch eine Ablehnung laufen sie Gefahr, das Land und seine Bevölkerung international noch weitgehender zu isolieren; Bauern und Bäuerinnen haben ihre Protestschritte „verkürzt“ und anstatt ins Parlamentsgebäude einzudringen, haben sie beschlossen, vorgefertigte Häuser vor den Stufen des Parlaments zu installieren. Das bedeutet, sie sind bereit, hunderte Tage dort zu bleiben und durch ihre Angleichung an die Umgebung noch unsichtbarer zu werden; die Stahlarbeitergewerkschaft in Zenica hat ihren Kampf gegen die neuen Besitzer des Unternehmens verloren; Kardinal Puljić befindet sich in einem Treffen mit Milorad Dodik, einer zentralen politischen Figur in der Republik Srbska, um die Aussichten einer „dritten Instanz“ für bosnische KroatInnen zu besprechen; Liberale der lokalen Öffentlichkeit und AkademikerInnen der Zivilgesellschaft, bislang glühende GegnerInnern des Ethno-Nationalismus, akzeptieren ihn jetzt als „unvermeidbar“ und benehmen sich, als ob sie vom Mantra „es gibt keine Alternative“ zur ethnischen Teilung des Landes geleitet wären, eine Aussicht, die jetzt im neuen und pseudo-akademisch bestätigten „Paket“ des so genannten „Konkordanzmodells“ der Demokratie abgeliefert werden muss. Aber sicherlich werden sie einwenden, dass der letzte Punkt nicht typisch ist. Was motiviert eine so abrupte Wende der Positionen dieser Liberalen, könnte man fragen. Die Antwort ist: Nichts, denn, noch einmal in Thatcher-Manier, „diese Herrschaften sind nicht für eine Wende“ – die aufwendige Fassade ihres Anti-Nationalismus und ihres zivilen Liberalismus versteckt die strukturellen Bausteine ihres Revisionismus, der zugleich anti-sozialistisch/anti-kommunistisch und anti-jugoslawisch ist. Sie beschreiben nicht einmal eine 1800-Wende, sondern den geschlossenen Kreis eines Karussells, dessen Motor die Verschmelzung der beiden schlimmsten Übel des 20. Jahrhunderts gewesen ist, um einen dieser Liberalen zu paraphrasieren, – Nationalismus und Kommunismus – und die Unterdrückung der kommunistischen Solidarität als die „finsterste historische Illusion“.[1] In den Begriffen ihrer anti-nationalistischen Kritik sollte man daher nach der Kontinuität des Revisionismus suchen, anstatt nach Diskontinuität oder Beweisen einer 1800-Wende. Ich schlage vor, eine solche Untersuchung historisch im Jahr 2003 zu beginnen, als ein Text, geschrieben von Sinan Gudžević und veröffentlicht in der regionalen Zeitschrift Sarajevske Sveske, die liberalen, anti-nationalistischen, phantasmatischen Koordinaten störte, indem er diese mit den äußerlichen Elementen – Jugoslawien und Sozialismus – identifizierte, die von diesen Koordinaten in Abrede gestellt und ausgeschlossen werden. Gudževićs Text ist in vieler Hinsicht wichtig. Zunächst war seine Intervention der erste bedeutende Schnitt innerhalb der Chimäre einer geeinten anti-nationalistischen Kritik und bot vielen eine Möglichkeit, ihre eigenen Identifikationen im vollen revisionistischen Glanz offen zu legen. Zweitens machte er darauf aufmerksam, wie die de facto herrschende anti-nationalistische Kritik auf Zensur und Verbannung jeder tatsächlich politischen Kritik beruht. Drittens ermöglichte er dem herrschenden zivilgesellschaftlich-anti-nationalistisch-multi-kulturalistischen Lager, sich im politischen Spektrum da zu verorten, wo es rechtmäßig hingehört – ins Zentrum – situiert zwischen den Kugeln der Linken und Rechten, um Ivan Lovrenović, eines ihrer Mitglieder zu paraphrasieren. Im Zentrum positioniert, wie es ist, kann diese falsche Alternative nicht der Ort sein, um emanzipatorische Praktiken zu beobachten. Auf einem entpolitisierten Revisionismus beruhend, ist es tatsächlich reiner Opportunismus, der sich viel zu leicht pragmatischen und durchführbaren Reformen fügt. Jetzt, 2007, übersetzt sich das in eine offene, pseudo-akademische Befürwortung der weiteren ethnischen Teilung von Bosnien-Herzegowina. Gudževićs ausgezeichnete Polemik kristallisierte eine kurze, unsignierte Verleumdung „In Memoriam“[2] anlässlich des Todes von Izet Sarajlić aus, einem bekannten internationalistischen und antifaschistischen bosnischen Dichter, deren Autor Gudževićs Analyse in Mile Stojić entdeckte, einen Dichter und Kolumnisten der Zeitschrift BH Dani. Stojićs Text über Sarajlić ist eine Geschichtsrevision, die eher plump versucht, Sarajlićs Werk in Begriffen des „russischen Musters“ umzugestalten, was immer das auch sein mag, eine „Feier der Großen Idee, in deren Schatten Stalin allein mehr als zehn Millionen Unschuldige töten sollte.“ Sarajlić selbst wird als jemand dargestellt, der nach Titos Bruch mit Stalin weiterhin „im Rhythmus von Majakovskis links, links, links, marschierte“ und „noch dann Jugosleven-ekavac blieb, als offensichtlich war, dass der in solchen Strophen imaginierte Jugoslawismus seine eigenen Leute heimsuchen wird.“ Besonders bedeutsam ist Stojićs hinterhältiger Nachdruck auf Sarajlićs Widmung seiner Verse an Rajko Petrov Nogo, Radovan Karadžić, Nikola Koljević und Slavko Leovac, „ohne sich je vorzustellen, dass am Ende seines Lebens diese bewunderten Subjekte seine Liebe mit Mörsern und Kugeln zurückzahlen würden.“ Nicht befriedigt von der Revision von Sarajlićs Werk vor 1990, gestaltet Stojić darüber hinaus dessen Dichtung zum Ausdruck „einer tiefen Enttäuschung über die Religion, an die er sein ganzes Leben lang fanatisch glaubte“ um. Die ideologische Verzerrung von Stojićs Text ist deutlich offenbar: aus einer gönnerhaften Position wählt Stojić sorgfältig Stückchen und Teile aus Sarajlićs Biographie und ordnet sie in einer Weise an, die eine Lüge über Sarajlićs Leben hervorbringt, eine Lüge, die Sarajlićs Beitrag zum Ethno-Nationalismus in Bosnien-Herzegowina und seine Enttäuschung über den Kommunismus zur These erhebt. Darum spielen die von Stojić verwendeten Hinweise immer auf Sarajlić als „Jugosloven-ekavac“ an; enttäuscht „über die Religion, an die er sein ganzes Leben lang fanatisch glaubte“; ein „Favorit unter den serbischen nationalistischen Autoren“. Diese Unterstellungen laden den/die LeserIn ein, mit Stojićs bösartigem Versuch zu konspirieren, Sarajlić in zweifacher Weise zu konstruieren: 1) Als anhaltend anachronistische Figur, dessen „Verse ein Testament von Revolution und Liebe bleiben, ein Testament der Zeiten kollektiver Euphorie, als es schien, als ob sich diese beiden Begriffe nicht gegenseitig ausschließen würden“, und dessen Tod nicht nur die Erinnerung an antifaschistische Solidarität und Kommunismus auslöscht, sondern es Stojić auch ermöglicht, sie für obsolet und tot zu erklären. 2) Als eine Figur, dessen Enttäuschung über den Kommunismus – Sarajlićs „Religion“, wie es Stojić nennt – vom historischen Scheitern des Kommunismus und dessen darauf folgenden Zerfall in Ethno-Nationalismus verursacht war, ein Stück repräsentationeller Betrügerei, durch das Stojić allzu leichtfertig eine Kontinuität zwischen diesen beiden entwirft. Wenn die Erinnerung an die vergangene antifaschistische Solidarität und den Kommunismus gemeinsam mit Sarajlić gestorben ist, so führt Stojić allzu eifrig eine Hinrichtung durch, um nicht nur diese Solidarität, sondern auch die Erinnerung an den Kommunismus umzubringen, damit sie nicht produktiv auf der Zukunft lasten. Nachdem er sie getötet hat, kann Stojić nun beide mit dem Ethno-Nationalismus kombinieren, um aus einem sicheren, allwissenden Abstand an den Prozessen der Kritik zu parasitieren. Wie auch immer, Rastko Močnik und Boris Buden haben geschrieben, dass eine solche revisionistische Praxis für die politischen und intellektuellen Klassen symptomatisch ist, die dem „Ost-Liberalismus“ zugehören und die Ankunft des Kapitalismus vorbereiten. Praxis und Begriff antifaschistischer Solidarität sind genau das, was sie nicht verstehen können, denn diese Solidarität offenbart ihre Lüge – die Lüge, dass die Leute eigennützige Individuen sind, die nicht anders können als sich zu hassen.[3] Daher muss das als Bruchlinie ihres Projekts – ein Symptom par excellence – fortwährend überarbeitet und verhandelt werden und wenn möglich vom herrschenden anti-nationalistischen Lager in Bosnien aktiv vergessen werden. Ein Beispiel: Mile Stojić nimmt in seiner Kolumne „Riječ u fokusu“ in der Ausgabe von Dani vom 28. November 2003, ZAVNOBIH[4] und schreibt in positiver, nahezu sublimer Weise darüber.[5] ZAVNOBIH „blinkt wie eine Goldmünze in den finsteren Räumen der Erinnerung“; er ist ein „Lichtstrahl am Ende des Tunnels.“ Sogar in seiner Kritik, die auf „bosnische und herzegowinische SerbInnen und KroatInnen, die das Jubiläum von ZAVNOBIH nicht bemerken“ abzielt, gibt es Hinweise, die signalisieren, wo Stojićs Patriotismus enden wird – in der Verteidigung der ethno-nationalistischen Logik – denn Stojić vermag nicht über das ethno-nationalistische Prinzip hinauszublicken, das im Argument steckt, Bosnien sei „sowohl serbisch als auch kroatisch und muslimisch“ und weil er denkt, er könne sich den ethno-nationalistischen Eliten durch das bloße Beharren auf einer additiven Methode widersetzen. Darum ist es nicht überraschend, dass Stojić dreieinhalb Jahre später, am 16. März 2007, in derselben Kolumne „den Strom von Brüderlichkeit und Einheit [...] die finsterste historische Illusion“ nennt.[6] Was für einen anderen logischen Endpunkt gibt es in politischer Hinsicht für jemanden, der ZAVNOBIH zu einer „Münze mit beschränktem heutigen Gebrauchswert“ erklärt, zu „einer Formel, die nur in einem Land der Brüderlichkeit und Einheit aufrecht erhalten werden kann“? Stojićs kritische Ökonomie ist von Entwertung geplagt. In dreieinhalb Jahren ist die Wette der Kritik an ethno-nationalistischen Eliten – der antifaschistische Kampf – die Investition der „Goldmünze“ ZAVNOBIH heute zu einer bloßen Münze mit beschränktem Wert geworden, die Stojić nur noch tiefer in den Winkeln der „finsteren Räume der Erinnerung“ verschwinden lässt. Stojić ersetzt den Goldstandard durch einen revisionistischen Standard, aber diese Münze wird ihn auch weiterhin verfolgen. Auf seine entpolitisierende Anweisung, dass „diejenigen, die die Vorzüge der Universalität von ZAVNOBIH verherrlichen, modernere Antworten auf die Frage finden sollten, wie die streitenden Bevölkerungen von Bosnien-Herzegowina in Frieden und Wohlstand leben können, ohne den Strom der Brüderlichkeit und Einheit, der sich als die finsterste historische Illusion erwiesen hat“, sollte man antworten: Nein, danke! Kein Interesse an deinen moderneren Investitionen! In seiner genauen Lektüre und Analyse von Stojićs „In Memoriam“ und anderen in Dani und Feral veröffentlichten Texten, hat Sinan Gudžević Stojić nicht nur als Schwindler, Tatsachenfälscher und Lügner bloßgestellt – mit einem Wort als unbedeutenden, destruktiven Schmierer, der den öffentlichen Raum mit dem Quatsch seiner Schriften kolonisiert – sondern er hat auch die Maschinerie demontiert, die Stojićs Texte unterstützt, beglaubigt und veröffentlicht, und sie als Kloake enthüllt, in der Zensur, Konformität und Selbstzufriedenheit regiert. Zu Recht erkennt Gudžević in Stojić nicht „eine Ausnahme“, sondern „einen Repräsentanten eines ganzen Typs“. Das ist der Typus, der Geschichte aktiv revidiert und versucht, deren Gültigkeit durch die Neuerfindung seiner selbst als bereits während des Sozialismus dissidenten Strömung zu bestätigen, obwohl dieser Typus „das Politische“ bereits in den 1980ern aufgegeben hat. Das war die Zeit, zu der ethno-nationalistische Eliten das Politische aktiv an sich rissen und neue Koordinaten politischer Möglichkeit festlegten. Das ist der Typus, der Politik durch Kultur ersetzte und auf einer Position der Kultur jenseits von Ideologie beharrte, eine Position, von der aus sie fortfuhren, ihre missliche Lage zu beklagen. Und das ist genau die Position, aus der Leute wie Stojić das sozialistische Jugoslawien und die „Große Idee“ der internationalen Solidarität entwerten und attackieren können, unterstützt durch den Ausverkauf von Kommunismus und sozialistischer Revolution und deren Gleichsetzung mit dem serbischen ethno-nationalistischen Projekt. Gudžević bestimmt das antikommunistische Wesen dieser revisionistischen Gleichstellung auf recht malerische Art zielgenau. Er sagt, „die Mutter der Aussage Jedes Jugoslawien ist ein Serboslawien ist eine Witwe, ihr Name Señora Emigración, ihr Gatte gestorben, aber er sendet ihr noch immer Grüße.“ In sehr symptomatischer Weise ist das genau der Punkt, der Ivan Lovrenović störte und der ihm als Aufforderung diente, auf Gudževićs Text zu reagieren. Lovrenovićs Text, der am 3. Oktober 2003 mit dem Titel „Idoli i Ideologija“ in Dani veröffentlicht wurde, versucht Stojić zu verteidigen und attackiert Gudževićs Polemik deshalb, weil sie politisch ist. Oder wie Lovrenović sagt: „[...] man kann das nicht ohne Politik haben, ohne die elenden politischen – oder genau genommen ethnischen Anspielungen. Im Zentrum der Niederschrift dieser Zeilen [...], in denen er eine schleimige Unterstellung über die Emigration (zweifellos die der Ustasha) als die Mutter der Aussage Jedes Jugoslawien ist ein Serboslawien um Stojićs Hals legt, verrät sich Gudžević als vollständig begrifflich gefangen in den gewandten, vom Nin Magazin salonfähig gemachten, ethnischen Stereotypen [...].“ Wir hätten vorhersagen können, dass Lovrenović sich bemühen würde, die Diskussion irgendwie auf ein völlig unpolitisches Feld zu führen, da er Politik in der Sphäre der kulturellen Produktion seit den späten 1980ern vermieden hat. Tatsächlich verurteilt er Gudžević jetzt dafür, dass er seine Polemik nicht innerhalb der in Bosnien herrschenden Kritik vorbringt – eine vollständige und ausdrückliche Brandmarkung entlang ethnischer Linien. Daher gestaltet Lovrenović diese Diskussion innerhalb des ethno-nationalistischen Rahmens um, indem er zeigt, dass er diesen Rahmen nicht nur akzeptiert, sondern darüber hinaus glühend als einzig möglichen verteidigt. Man kann in einer genauen Lektüre nicht als Schwindler, Lügner und Tatsachenfälscher entlarvt werden, ohne zuerst als Bosnier, Kroate oder Serbe gebrandmarkt zu werden. Diese Operation von Lovrenovićs „mentaler Ökologie“, wie er es nennt, als Perspektive, von der aus er die Reinheitsstandards der Kritik diktiert, ist nur eine entpolitisierende Geste und rekrutiert die den bosnischen Anti-NationalistInnen so liebgewordene Sprache des Multikulturalismus als Verbündete. Lovrenović brandmarkt Gudževićs Polemik als „Hassrede“ und bestätigt damit noch deutlicher, dass der ethno-nationalistische Rahmen mit der multikulturalistischen Liebe zu Besonderheiten Hand in Hand geht. Nebojša Jovanović, jener Kritiker Bosnien-Herzegowinas, der diesen Aspekt des bosnischen anti-nationalistischen Lagers als erster öffentlich entmystifizierte, hat stichhaltig darauf hingewiesen, dass „Möchtegern-KritikerInnen des Ethno-Nationalismus wie Lovrenović eine BH-Version von ‚politischer Korrektheit’ auf den Grundlagen der ethnischen Dreiparteien-Herrschaft errichten.“[7] Zur Erinnerung: all das findet in einem Kontext statt, in dem in der Gestalt „politischer Korrektheit“ und „Toleranz“ Trennung in Schulen gefördert wird, Schulbücher zensuriert und die Gewinne des Landes auf die ethno-nationalistischen Eliten aufgeteilt werden. In einem solchen Kontext bleibt nur die bloße Verwaltung verschiedener ethnischer (kultureller) Gruppierungen übrig. Kein Wort von Politik. Es ist nützlich, sich an die von Wendy Brown konstatierte Hinterlist dieser post-politischen Verwaltung zu erinnern: Durch Naturalisierung, Personalisierung und Kulturalisierung entpolitisiert die so genannte „Toleranz“ soziale Konflikte und Marginalisierung. Das geschieht dadurch, dass „Konflikt auf eine den Identitäten inhärente Reibung reduziert wird und religiöse, ethnische und kulturelle Differenzen selbst zu inneren Gebieten in einem Konflikt gemacht werden, der die Praktiken der Toleranz einfordert und durch diese abgeschwächt wird.“[8] Folglich verwaltet die multikulturelle Toleranz auf diese Weise die Forderungen und Konflikte der Identitäten unter Ausschluss einer genauen Politisierung. Glücklicherweise ist es Lovrenovićs Formel „bosnische, anti-nationalistische, ‚mentale Ökologie’ + Brandmarkung des Gebrauchs multikulturalistischer ‚Hassrede’ = protestantischer Journalprediger des liberalen Revisionismus“ nicht gelungen, die Kritik in Bosnien zu entpolitisieren und ihr ein Ende zu bereiten.[9] In seinem zweiten, am 31. Oktober 2003 in Dani veröffentlichten Artikel mit dem Titel „Bije lijeva, bije desda“ stellt Lovrenović den Kern seiner unerträglichen Position vor, die nun, so argumentiert er, sowohl von Rechts als auch von Links angegriffen wird. Lovrenovićs zweiter Text ist eine weitere Unterstützung für Stojić und eine Bestätigung seiner eigenen revisionistischen Haltung, die jetzt zu einer „eindeutig kritischen Position“ herausgeputzt wurde. Diesmal bringt er das Erste Jugoslawien ins Bild, um das politische Feld aus der historischen Entfernung von 1929 zu vereinheitlichen, und um ein lineares ethno-nationalistisches Projekt zu konstruieren. In dieser zweiten Angleichung verschmilzt Jugoslawien mit dem Projekt von Großserbien – durch den unpassenden Versuch, die unbestreitbare historische Tatsache zu leugnen, die das heterogene Element in seiner Geschichte ausmacht – die historische Existenz antifaschistischer Solidarität. Wenn es irgendeine Klarheit in Lovrenovićs Text gibt, dann kann sie in seiner genauen politischen Verortung des liberalen Revisionistenklubs ausfindig gemacht werden – d.h. in der zentristischen Grundlage ihrer Politik. Im Aufbau dieses „Dazwischen-Seins“ als dem reinen Ort all seiner kameradschaftlichen schönen Seelen, die sowohl von Links als auch von Rechts geschlagen werden, zeigt Lovrenović in seiner konkret materiellen Praxis als multikulturalistischer Ankläger der „Hassrede“, der seine Anschuldigungen im allzu komfortablen ethno-nationalistischen Richterstuhl vorbereitet, dass sich das Zentrum derzeit recht angenehm hält – und was es tatsächlich macht, es schlägt ein bisschen nach Links und ein bisschen nach Rechts aus. Stojićs politische Entwertung der „Goldmünze“ des antifaschistischen Internationalismus und der Solidarität und Lovrenovićs Situierung des Antifaschismus und Ethno-Nationalismus im selben Kontinuum sind nichts als Hinweise auf die weiter verbreitete Tendenz, die von ihnen und ihren befreundeten, opportunistischen, revisionistischen MarktspekulantInnen bestimmt wird. Andere ProtagonistInnen wären Ugo Vlaisavljević, der auf die Entdeckung des „Kommunismus im Nationalismus“ gestoßen ist, oder Enver Kazaz, der gierig den Köder des „Hassrede“-Arguments geschluckt hat, ohne die Tatsache in Erwägung zu ziehen, dass die herrschende anti-nationalistische Kritik selbst innerhalb jener Parameter ausgetragen wird, die vom Ethno-Nationalismus als Möglichkeit vorgegeben werden. In dieser Hinsicht muss Drinka Gojkovićs triftige und gut argumentierte Reaktion auf Lovrenovićs Text in kleiner, aber bedeutsamer Weise ergänzt werden.[10] Ihr Text ist gemeinsam mit Zija Dizdarević und Nebojša Jovanović eine der wenigen Kritiken von Lovrenović. Zu Recht weist sie nach, dass Lovrenović versucht, jede Polemik durch den Gebrauch des „Hassrede“-Arguments zu verbieten. Um ihre Forderung zu bekräftigen, ist es wertvoll festzustellen, wie Lovrenović, Kazaz und Senad Pećanin, der frühere Herausgeber von Dani, in ihrer Reaktion auf Gudževićs Text eine bestimmte Abscheu bekunden, wenn sie den Begriff „Polemik“ verwenden. Gojković brandmarkt Lovrenovićs und Stojićs Anti-Jugoslawismus als „leer“, und das ist der Punkt, an dem die Korrektur vorgenommen werden muss. Viel eher als nicht zu wissen, was sie tun, wissen sie sehr genau, was sie tun, aber sie fahren fort, es zu tun. Das ist kein leerer Anti-Jugoslawismus, sondern der Opportunismus der Zentrismuspolitik. In der revisionistischen Ökonomie des opportunistischen Zentrums ist eine elementare Zensur am Werk – der Exzess, über „Kommunismus im Nationalismus“ zu sprechen, das Obsolet-Machen des antifaschistischen Kampfs mit dem Ziel, das zu verbergen, was diese ideologische Nivellierung diktiert, die Angleichung von Kommunismus und Nationalismus, die Entwertung des antifaschistischen Kampfs – das ist Kapitalismus, oder genauer, die nabelschnurartige Verbindung von Kapitalismus und Ethno-Nationalismus. Darum ist ihre neue goldene Investition in soziale Kritik, die in keiner Weise irgendetwas zur transformativen Politik beiträgt, letztlich Katzengold. Sie haben all ihr Kapital längst ausgegeben und sind daher verkaufte Leute. Für die Politik des diskreditierten Zentrums bieten sie nur Gebrauchswert. Das schafft umso mehr Gründe, auf den kontinuierlichen Standpunkt antifaschistischer Solidarität und Internationalismus gegen den Revisionismus zu insistieren, damit die Goldmünze ZAVNOBIH noch lauter gegen jenen Punkt klirrt, an dem sie all die opportunistischen Revisionisten taub macht. [1] Mile Stojić, „Riječ u fokusu“, BH Dani, No 509, 16. März 2007. [2] Mile Stojić, „Riječ u fokusu“, BH Dani, No 256, 10. Mai 2002. [3] Rastko Močnik, „Koliko fašizma?“, Zagreb: Arkzin 1998/99, S. 72–74. Vgl. auch Boris Buden, „Na Trgu mrtvih velikana“, Barikade 2, Zagreb: Arkzin 1996/97, S. 231– 235. [4] Zemaljsko antifašističo vijeće narodnog oslobođenja Bosne i Hercegovine (staatlicher antifaschistischer Volksbefreiungsrat von Bosnien-Herzegowina), eine politische Körperschaft der Volksbefreiung (NOB), gebildet am 25–26. November 1943 in BH, und eine konstitutive politische Handlung zur Etablierung von BH als föderative Einheit innerhalb der Sozialistischen Bundesrepublik Jugoslawien. [5] Mile Stojić, „Riječ u fokusu“, BH Dani, No 337, 28. November 2003. (Alle Artikel von BH Dani sind im BH Dani Archiv auf www.bhdani.ba zugänglich). [6] Mile Stojić, „Riječ u fokusu“, BH Dani, No 509, 16. März 2007. [7] Nebojša Jovanović, „’Buđenje’, Ivana Lovrenovića“, Forum, 20. Oktober 2003. [8] Wendy Brown, Regulation Aversion: Tolerance in the Age of Identity and Empire, Princeton und Oxford: Princeton University Press 2006, S. 15. [9] Sowohl Zija Dizdarević in Oslobojenje und Nebojša Jovanović in Slobodna Dalmacija reagierten auf Lovrenovićs ersten Text. Dani lehnte es ab, Jovanovićs Reaktion auf Lovrenovićs „Bije lijeva, bije desna“ zu veröffentlichen. [10] Ich beziehe mich auf ihre sehr gut argumentierte Antwort, die einzige dieser Art, die in Sarajevske Sveske abgedruckt wurde. Vgl. Drinka Gojković, „Zveckanje govorom mrznje“, Sarajevske Sveske, No 4, 2003, S. 469–473. |
Damir ArsenijevićThomas Waibel (translation)languagesEnglish Bosanski Deutschtransversalthe post-yugoslavian condition of institutional critique |