06 02 08 AktivistInnen im VisierDer “Krieg gegen den Terror” und seine zusätzlichen AgendenÜbersetzt von Tom Waibel
Nach sechseinhalb Jahren im US-geführten „Krieg gegen den Terror“ sind dessen verhängnisvollste Wirkungen insbesondere auf die Bevölkerungen des Mittleren Ostens gut bekannt. Weniger sichtbar ist aber jener Angriff, der gleichzeitig im Namen eines „weltweiten Ausnahmezustands“ gegen progressive soziale Bewegungen geführt wird. Im Kontext einer allgemeinen Militarisierung des Alltagslebens, einer beispiellosen Ausweitung der offiziellen Überwachung und einer Aushöhlung von grundlegenden zivilen und demokratischen Rechten gibt es eine deutliche internationale Tendenz, die etablierten Formen von Dissens und Protest zu kriminalisieren und zivilen Ungehorsam und direkte Aktion als „Terrorismus“ neu zu kategorisieren.
„Krieg gegen den Terror“ nach außen ... Der „Krieg gegen den Terror“, eine Neuerung in der globalen
Anwendung von repressiver Staatsmacht, normalisiert und globalisiert Aspekte
des staatlichen Ausnahmezustands bzw. Notstands, darunter vor allem die Macht,
die Existenz eines absoluten und untragbaren Feindes zu proklamieren. Nach den Schreckenstaten
des 11. September 2001 hat der US-Präsident weder die US-Verfassung außer Kraft
gesetzt noch eine Ausgangssperre verhängt. Aber er hat den Ausnahmezustand und
den Notstand als Sprechakte vollzogen – einschließlich der klassischen
Wiederaufnahme der Freund-Feind-Unterscheidung: „Wer nicht mit uns ist, ist mit
den Terroristen.“ Der Beweis dafür findet sich im Arsenal der
Machterweiterungen, die in der Gesetzgebung vom USA Patriot Act (US-Vaterlandsgesetz) von 2001 bis zum Military Commissions Act
(Militärversorgungsgesetz) von 2006 geltend gemacht wurden sowie in
vergleichbaren Gesetzen, die von Staaten auf der ganzen Welt übernommen wurden.
Gleichzeitig sollten die BürgerInnen die neuen staatlichen Ermächtigungen nicht
als zeitweilige Unterbrechung der Normalität, sondern als die Ankunft einer
neuen Normalität anerkennen: „Geht einkaufen!“, rief der US-Präsident 2001 den
AmerikanerInnen zu.
Im Vergleich dazu hat Gewalt von rechten und
fremdenfeindlichen Milizen in den Vereinigten Staaten eine ganz andere Form,
Motivation und Größenordenordnung. Der Angriff 1995 auf das Murrah
Regierungsgebäude in Oklahoma Stadt tötete beispielsweise 169 Personen,
darunter viele Kinder, und verletzte an die 500 weitere. Die Begriffsbestimmungen des Entwurfs lassen viel Spielraum. „Hausgemachter Terrorismus“ sei „die Anwendung, geplante oder angedrohte Anwendung von Zwang oder Gewalt durch eine Gruppe oder eine natürliche Person, die in den Vereinigten Staaten oder einer Besitzung der Vereinigten Staaten geboren, aufgewachsen, ansässig oder vorrangig tätig ist, mit dem Ziel, die Regierung der Vereinigten Staaten, die Zivilbevölkerung der Vereinigten Staaten, oder jegliche Teile davon, zur Erlangung von politischen oder sozialen Zielen einzuschüchtern oder zu nötigen.“[4] „Gewaltsame Radikalisierung“ sei „der Prozess der Übernahme oder Verbreitung eines extremistischen Glaubenssystems zum Zweck der Ermöglichung von auf Ideologie gegründeter Gewalt zur Herbeiführung von politischem, religiösem oder sozialem Wandel.“ Mit anderen Worten: Jede Demonstration oder jeder Akt von zivilem Ungehorsam
kann als „Terrorismus“ klassifiziert werden. Der RAND-Bericht identifiziert drei innere terroristische
Bedrohungen in den Vereinigten Staaten: AnarchistInnen, rechtsgerichtete
ExtremistInnen und UmweltschutzaktivistInnen. In einer entlarvenden
Gleichsetzung werden alle drei mit der „Antiglobalisierungs“-Bewegung in
Verbindung gebracht: „Die sich aus der Antiglobalisierungsbewegung (AG)
entwickelnden Normen scheinen einen radikalen inneren Zusammenhang zu schaffen,
um die Militanz der äußeren Rechten mit jener zu verschmelzen, die von den
zielgerichteteren extremistischen Umweltanliegen ausgeht.“[5] AktivistInnen werden möglicherweise nicht als Terroristen eingestuft, bevor sie nicht die Grenze zur Sachbeschädigung überschreiten oder zu Formen der direkten Aktion, die etwa als „Einschüchterung“ interpretiert werden können. (Denk zweimal nach, bevor du deine Faust hebst oder einen Spruch auf einer Demo in den Vereinigten Staaten schreist.) Aber die Tatsache, dass die Bewegung der Bewegungen als „der Kontext“ identifiziert wird, von dem aus terroristische Bedrohungen erwartet werden, genügt, um Ängste bezüglich der zusätzlichen Agenden des „Kriegs gegen den Terror“ zu bestätigen. Die Vereinigten Staaten sind darauf vorbereitet, jeden Versuch einer Wiederbelebung von Klassenkämpfen oder antikapitalistischen sozialen Kämpfen ins Visier zu nehmen. Das ist vielleicht keine große Überraschung, aber in seinen Auswirkungen auf soziale Bewegungen in den Vereinigten Staaten Besorgnis erregend. Europa ist den Vereinigten Staaten nicht einheitlich in diese Richtung gefolgt. Es lässt sich sogar auf neuere kleine Erfolge in Deutschland verweisen, wo das Verfassungsgericht Versuche zurückgewiesen hat, die militante Gruppe (mg), die im Verdacht steht, eine Anzahl von Lastwägen und Fahrzeugen der Bundeswehr angezündet zu haben, als terroristische Vereinigung einzustufen. Aber dennoch sollten sich AktivistInnen auch außerhalb der Vereinigten Staaten bewusst sein über die Richtung, in die sich der globale Hegemon bewegt.
[1] Zeugenaussage von James F. Jarboe, Chef der Abteilung für inneren Terrorismus im FBI vor dem Komitee für Haushaltsressourcen am 12. Februar 2002; online auf: http://www.fbi.gov/congress/congress02/jarboe021202.htm [2] Michael Donnelly, „Green Sabotage as ‚Terrorism’“, in: Counterpunch, Mai 26/27, online auf: http://www.counterpunch.org/donnelly05262007.html [3] „Facing Seven Years in Jail. Environmental Activist Daniel McGowan Speaks Out About the Earth Liberation Front, the Green Scare and the Government’s Treatment of Activists as ‚Terrorists’,“ in: Democracy Now!, 11. Jänner 2007, online auf: http://www.democracynow.org/2007/6/11/exclusive_facing_seven_years_in_jail [5] Peter Chalk, Bruce Hoffman, Robert Reville und Anna-Britt Kasupski, Trends in Terrorism: Threats to the United States and the Future of the Terrorism Risk Insurance Act, Santa Monica, CA: RAND Corporation 2005, S. 39. |
Gene RayThomas Waibel (translation)other languagesOn the Targeting of Activists in the War on Terror AktivistInnen im Visier |