Übersetzt von Tom Waibel
Nach sechseinhalb Jahren im US-geführten „Krieg gegen den Terror“ sind dessen verhängnisvollste Wirkungen insbesondere auf die Bevölkerungen des Mittleren Ostens gut bekannt. Weniger sichtbar ist aber jener Angriff, der gleichzeitig im Namen eines „weltweiten Ausnahmezustands“ gegen progressive soziale Bewegungen geführt wird. Im Kontext einer allgemeinen Militarisierung des Alltagslebens, einer beispiellosen Ausweitung der offiziellen Überwachung und einer Aushöhlung von grundlegenden zivilen und demokratischen Rechten gibt es eine deutliche internationale Tendenz, die etablierten Formen von Dissens und Protest zu kriminalisieren und zivilen Ungehorsam und direkte Aktion als „Terrorismus“ neu zu kategorisieren.
„Krieg gegen den Terror“ nach außen ...
Der „Krieg gegen den Terror“, eine Neuerung in der globalen
Anwendung von repressiver Staatsmacht, normalisiert und globalisiert Aspekte
des staatlichen Ausnahmezustands bzw. Notstands, darunter vor allem die Macht,
die Existenz eines absoluten und untragbaren Feindes zu proklamieren. Nach den Schreckenstaten
des 11. September 2001 hat der US-Präsident weder die US-Verfassung außer Kraft
gesetzt noch eine Ausgangssperre verhängt. Aber er hat den Ausnahmezustand und
den Notstand als Sprechakte vollzogen – einschließlich der klassischen
Wiederaufnahme der Freund-Feind-Unterscheidung: „Wer nicht mit uns ist, ist mit
den Terroristen.“ Der Beweis dafür findet sich im Arsenal der
Machterweiterungen, die in der Gesetzgebung vom USA Patriot Act (US-Vaterlandsgesetz) von 2001 bis zum Military Commissions Act
(Militärversorgungsgesetz) von 2006 geltend gemacht wurden sowie in
vergleichbaren Gesetzen, die von Staaten auf der ganzen Welt übernommen wurden.
Gleichzeitig sollten die BürgerInnen die neuen staatlichen Ermächtigungen nicht
als zeitweilige Unterbrechung der Normalität, sondern als die Ankunft einer
neuen Normalität anerkennen: „Geht einkaufen!“, rief der US-Präsident 2001 den
AmerikanerInnen zu.
Die neuen Machtbefugnisse wurden schnell in die Tat
umgesetzt. Staatliche Sicherheitsagenturen und private Unternehmen haben
gemeinsam am Aufbau eines weltweiten Netzwerkes von inoffiziellen Eingreiftruppen
und „rendition“ planes, Stützpunkten,
Durchgangslagern und geheimen Gefängnissen gearbeitet. Von Guantánamo, Abu
Ghraib und Bagram über Marokko, Syrien und Ägypten bis hin zu Polen, Rumänien
und anderen immer noch unbekannten Orten hat dieses Netzwerk die aktive
Zusammenarbeit zahlreicher Staaten mit ihren korporativen und paramilitärischen
Bevollmächtigten und die Komplizenschaft vieler weiterer herbeigeführt. Unter
den hunderten von Opfern befinden sich, wie inzwischen wohlbekannt ist, nicht wenige
Unschuldige.
Da der Druck, der US-Führung zu folgen, real und konstant
ist, ist es notwendig, zu verstehen, wie die Notfallsermächtigungen in den
Vereinigten Staaten interpretiert werden:
Ein Staat ruft durch die Aktivierung eines Notstands die Gesetzgebung
an, um sich selbst von dieser Gesetzgebung auszunehmen. Von allen
Notstandsgesetzen, die de jure oder de facto von der Bush-Regierung geltend
gemacht wurden, ist das für die Rechtsstaatlichkeit selbst am meisten
schädigende die Einschränkung des habeas
corpus, des Rechts eines Verhafteten, formal angeklagt oder aber schnell
freigelassen zu werden. Die neue Kategorie von unlawful enemy combatants, die angeblich nicht unter den Schutz der
Genfer Konventionen fallen, steht für einen Rückfall in willkürliche
Machtausübung und einen rechtlichen Schwebezustand. Jenen, denen es nicht
erlaubt wird, ihren Anklägern gegenüber zu treten oder ein Verfahren vor einem
unabhängigen Richter einzufordern, werden die Voraussetzungen der liberalen
Rechtsprechung schlicht verweigert.
... und nach innen
Diese auf einen äußeren Feind gerichteten Schritte wurden
von regelrechten Machtdemonstrationen in den USA selbst begleitet. Es ist vor allem diese Anwendung der
neuen Notfallsermächtigungen nach Innen, die den Verdacht nährt, dass der
„Krieg gegen den Terror“ zusätzlich zu Al-Qaeda und anderen Netzwerken von
Anfang an auch die Bewegung der
Bewegungen im Blick gehabt hat: Seit dem 11. September 2001 hat es
eine deutliche Steigerung von repressiven Maßnahmen gegenüber Anti-Irakkriegs-DemonstrantInnen
gegeben; Pfeffersprays, Elektroschockpistolen und Gummigeschosse wurden gegen
Protestierende eingesetzt, am brutalsten im April 2003 in Oakland und im
November desselben Jahres in Miami. Die nationalen Überwachungsprogramme - in
der Folge von Watergate und anderen Missbrauchsfällen in den frühen 1970ern
verboten - wurden in neuer Form reaktiviert. Wie 2005 durchsickerte,
beobachtete die verschwiegene Counterintelligence
Field Activity Agency (CIFA) des Pentagon Anti-Kriegs-Demos in den USA und
legte Akten über Friedensgruppen einschließlich der Quäker an.
Und zuletzt sind die USA mehr denn je dazu entschlossen,
Sachbeschädigungen als Terrorismus zu behandeln. In den Vereinigten Staaten
werden direkte Aktionen, bei denen es zu Sachbeschädigungen kommt, meist mit
Umweltschutz- oder Tierrechtsgruppen, wie der Earth Liberation Front (ELF), oder mit anarchistischen und
autonomen Gruppen in Verbindung gebracht. Während die Angriffe der letzteren
auf Firmeneigentum in städtischen Zentren weitgehend symbolisch sind, zielen
die Aktionen der Umweltschutzgruppen viel systematischer auf die
wirtschaftlichen Profite der Konzerne ab. Das FBI behauptet, dass die ELF
gemeinsam mit der verbündeten Animal
Liberation Front (ALF) seit 1996 mehr als 43 Millionen US-Dollar
Sachschaden verursacht haben.[1] Aus diesem Grund führten
ELF/ALF sogar die FBI-Liste für innere terroristische Bedrohungen an, obwohl
die ELF Gewalt gegen Personen eindeutig abgelehnt.
Im Vergleich dazu hat Gewalt von rechten und
fremdenfeindlichen Milizen in den Vereinigten Staaten eine ganz andere Form,
Motivation und Größenordenordnung. Der Angriff 1995 auf das Murrah
Regierungsgebäude in Oklahoma Stadt tötete beispielsweise 169 Personen,
darunter viele Kinder, und verletzte an die 500 weitere.
2005 startete das FBI mit Green Scare eine Razzia gegen die ELF. Verhaftete AktivistInnen
wurden für Brandstiftungen mit drakonisch verschärften Strafen bedroht. Eine
Brandstiftung, bei der niemand verletzt wird, zieht üblicherweise eine
Verurteilung von weniger als vier Jahren nach sich; durch die verschärfte
Verurteilung kann das Strafmaß auf über 20 Jahre erhöht werden.[2] Einem an zwei
Brandstiftungen beteiligten Aktivisten wurde eine lebenslängliche Strafe plus
1150 Jahren angedroht.[3] Angesichts solcher
Aussichten wurden viele AktivistInnen zu InformantInnen, die Zellen der ELF
sind inzwischen weitgehend zerschlagen.
Ein Indiz dafür, dass dieser Trend einer fortdauernden
politischen Tendenz entspricht, ist ein Gesetzesentwurf von 2007, der Violent Radicalization and Homegrown
Terrorism Prevention Act. Dieser Entwurf, der im Oktober 2007 das
Repräsentantenhaus mit 400 zu 6 Stimmen passierte, ist derzeit auf seinem Weg
durch den Senat. Sollte er Gesetz werden, würden eine nationale
Beratungskommission und eine neue Denkfabrik eingerichtet – ein
„Exzellenzzentrum“ mit Sitz an einer Universität, an dem Gelehrte der Abteilung
für Heimatschutz (Department of Homeland
Security) zuarbeiten.
Die Begriffsbestimmungen des Entwurfs lassen viel Spielraum. „Hausgemachter Terrorismus“ sei „die Anwendung, geplante oder angedrohte Anwendung von Zwang oder Gewalt durch eine Gruppe oder eine natürliche Person, die in den Vereinigten Staaten oder einer Besitzung der Vereinigten Staaten geboren, aufgewachsen, ansässig oder vorrangig tätig ist, mit dem Ziel, die Regierung der Vereinigten Staaten, die Zivilbevölkerung der Vereinigten Staaten, oder jegliche Teile davon, zur Erlangung von politischen oder sozialen Zielen einzuschüchtern oder zu nötigen.“[4] „Gewaltsame Radikalisierung“ sei „der Prozess der Übernahme oder Verbreitung eines extremistischen Glaubenssystems zum Zweck der Ermöglichung von auf Ideologie gegründeter Gewalt zur Herbeiführung von politischem, religiösem oder sozialem Wandel.“ Mit anderen Worten:
Jede Demonstration oder jeder Akt von zivilem Ungehorsam
kann als „Terrorismus“ klassifiziert werden.
2005 veröffentlichte eine Fachabteilung der RAND Corporation einen Bericht zu
„Terrorismustrends“. Die RAND Corporation
wurde 1946 als gemeinsames Projekt der US-Luftwaffe und der Douglas Aircraft
Company gegründet. 1948 wurde sie zu einer „unabhängigen“ Denkfabrik, die die
staatliche US-Politik seither in verschiedenen sicherheitsrelevanten Bereichen
beeinflusst hat.
Der RAND-Bericht identifiziert drei innere terroristische
Bedrohungen in den Vereinigten Staaten: AnarchistInnen, rechtsgerichtete
ExtremistInnen und UmweltschutzaktivistInnen. In einer entlarvenden
Gleichsetzung werden alle drei mit der „Antiglobalisierungs“-Bewegung in
Verbindung gebracht: „Die sich aus der Antiglobalisierungsbewegung (AG)
entwickelnden Normen scheinen einen radikalen inneren Zusammenhang zu schaffen,
um die Militanz der äußeren Rechten mit jener zu verschmelzen, die von den
zielgerichteteren extremistischen Umweltanliegen ausgeht.“[5]
Sicherlich vermeidet der RAND-Bericht jede plumpe
Identifizierung von „Antiglobalismus“ und „Terrorismus“. Er begnügt sich damit,
die Existenz von Übereinstimmungen zu behaupten, aus denen tatsächliche
Bedrohungen entwickelt werden können.
Kampf gegen den Klassenkampf
AktivistInnen werden möglicherweise nicht als Terroristen eingestuft, bevor sie nicht die Grenze zur Sachbeschädigung überschreiten oder zu Formen der direkten Aktion, die etwa als „Einschüchterung“ interpretiert werden können. (Denk zweimal nach, bevor du deine Faust hebst oder einen Spruch auf einer Demo in den Vereinigten Staaten schreist.) Aber die Tatsache, dass die Bewegung der Bewegungen als „der Kontext“ identifiziert wird, von dem aus terroristische Bedrohungen erwartet werden, genügt, um Ängste bezüglich der zusätzlichen Agenden des „Kriegs gegen den Terror“ zu bestätigen. Die Vereinigten Staaten sind darauf vorbereitet, jeden Versuch einer Wiederbelebung von Klassenkämpfen oder antikapitalistischen sozialen Kämpfen ins Visier zu nehmen. Das ist vielleicht keine große Überraschung, aber in seinen Auswirkungen auf soziale Bewegungen in den Vereinigten Staaten Besorgnis erregend. Europa ist den Vereinigten Staaten nicht einheitlich in diese Richtung gefolgt. Es lässt sich sogar auf neuere kleine Erfolge in Deutschland verweisen, wo das Verfassungsgericht Versuche zurückgewiesen hat, die militante Gruppe (mg), die im Verdacht steht, eine Anzahl von Lastwägen und Fahrzeugen der Bundeswehr angezündet zu haben, als terroristische Vereinigung einzustufen. Aber dennoch sollten sich AktivistInnen auch außerhalb der Vereinigten Staaten bewusst sein über die Richtung, in die sich der globale Hegemon bewegt.
[1] Zeugenaussage von James F. Jarboe, Chef der Abteilung für inneren Terrorismus im FBI vor dem Komitee für Haushaltsressourcen am 12. Februar 2002; online auf: http://www.fbi.gov/congress/congress02/jarboe021202.htm
[2] Michael Donnelly, „Green Sabotage as ‚Terrorism’“, in: Counterpunch, Mai 26/27, online auf: http://www.counterpunch.org/donnelly05262007.html
[3] „Facing Seven Years in Jail. Environmental Activist Daniel McGowan Speaks Out About the Earth Liberation Front, the Green Scare and the Government’s Treatment of Activists as ‚Terrorists’,“ in: Democracy Now!, 11. Jänner 2007, online auf: http://www.democracynow.org/2007/6/11/exclusive_facing_seven_years_in_jail
[4] Der gesamte Text ist in der
US-Kongressbibliothek online: http://thomas.loc.gov/
[5] Peter Chalk, Bruce Hoffman, Robert Reville und Anna-Britt Kasupski, Trends in Terrorism: Threats to the United States and the Future of the Terrorism Risk Insurance Act, Santa Monica, CA: RAND Corporation 2005, S. 39.