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10 05 06

Die Gothik lebt in den Beinen der Cowboys

Christoph Schäfer

Die Gotik lebt in den Beinen der Cowboys

Zur Institutionskritik ist ja viel geschrieben worden. Am wichtigsten fand ich den Artikel von Dan Grahami, wo er die Selbstreferentialität und das Vorführen des eigenen Produktionsapparates bei Godard (die ja irgendwie so marxistisch-brechtisch, die-Institution-Kino-kritisierend-und-seinen-mythischen-Erzählfluss-brechend, gemeint war) mit der von Dean Martin verglich, der in seiner Show häufiger betrunken auftrat, es dann aber nicht dabei beließ oder das Betrunkensein kaschierte, sondern viel mehr auch noch andauernd Witze über seinen Suff machte und für jeden sichtbar mit den Textkarten („Idiot-Cards“) hantierte, immer wieder durchs Studio stolperte und durchblicken ließ, dass er den Text durcheinandergebracht oder vergessen hatte, und so weiter.

Graham’s Fazit war recht deprimierend: das Vorführen der eigenen Korruptheit und das Demaskieren der Institution zerstört letztlich den Fetischcharakter der Ware nicht, und es führt genauso wenig wie das Zerschlagen des Bilderrahmens und des bürgerlichen Überbaus zu Aufklärung und Revolution, sondern lässt sich, letzten Endes, mitverkaufen.

Das ist schon eine enttäuschende Schlussfolgerung: dachte man doch immer, wenn die Malerei als ideales, unkopierbares Tauschobjekt, die Arbeit in Kunsträumen generell, vom Markt geschluckt worden ist und die Intervention „wie alle Alternativen“ am Ende nur das System optimiert habe, dann bliebe einem wenigstens noch das schmucklose aber funktionierende Rettungsboot „Kritische Distance“.

Ich weiß wovon ich spreche. Denn ich habe kürzlich gleich bei mehreren Ausstellungen mitgemacht, die sich, in ihrem Wunsch, sich einem Thema und der sog. Wirklichkeit hinzugeben, in den Disziplinen „Aufgabe eines kritischen Standpunktes“ und „Ignoranz gegenüber künstlerischer Haltung“ recht weit vorwagten. Ein Beispiel: im Rahmen eines dieser Projekte wurde ein ZDF Hauptredakteur von der österreichischen Projektleiterin auf Kosten der Kulturstiftung des Bundes nach Moldawien geschickt, um einem immerhin auf der Documenta11 gezeigten Videokünstler den Begriff „Formatfernsehen“ beizubringen. Schnell war aus dem sperrigen Performance-Video ein flotter Erkennungsclip im MTV-Stil geschnitten, und drumrum eine Sendung formatiert, deren zahnlose Harmlosigkeit dem öffentlich-rechtlichen Deutschen eigentlich schon zu weit ging. Der solcherart geworkshoppte Künstlerkollege stellte das Erlernte dann auf einem für künstlerischen Austausch gedachten Kongress vor, als habe er das Ei des Kolumbus entdeckt und eine Kritik an „der normativen Macht des Faktischen“ nie stattgefunden.

Wird man Zeuge solcher vor dem Status Quo auf Knien rumrobbender Kunst samt dem sie vermittelnden, zwischen Therapiegruppenjargon, Zielgruppenslang und Nato-Einsatzbesprechungsvokabular schlingernden Interventionsrechtfertigungsgerede, kommt Sehnsucht auf, nach klarer Abgrenzung, nach Großer Verweigerung, Negation, Ad Reinhardt, Autonomie, Grabenkämpfen, Recht haben, Zweiliterkartons Rotwein und ungebrochenen, ungewaschenen, authentisch stinkenden Künstlersubjekten, die von der Zigarette vor dem Rauchen den Filter abbrechen.

Aber halt! Ist es denn wirklich so finster? Neulich zog ich mich von der Welt mit meiner Freundin ins Bett zurück, und Freude und Erleuchtung kam durch den Fernseher herein in Gestalt von Terence Hill. Der Titel des Films war super und versprach Trost und Trotz in hoffnungsloser Zeit: „Verflucht, Verdammt und Halleluja“ („Man Of The East“, 1972). Noch superer aber war Hill’s Auftritt in dieser Szene – dem Höhepunkt des Films eigentlich. Darin führt der Schauspieler anhand eines kleinen Kabinettstückchens vor, was die Kunst kann, und was der Künstler tun soll:

http://www.terencehill.com/videoclips/maneasthorse.html

Die in der Szene gezeigte Institution ist das westernunvermeidliche Duell mit dem Nebenbuhler. Bis zu diesem Zeitpunkt war Hill dem Duell immer ausgewichen: er fand das alles albern und wollte sich in das ödipale Dreieck des Westerns nicht einordnen lassen und an den männlichen Initiationsriten nicht teilhaben – und stattdessen weiter in seinem Oxfordanzugii auf seinem Fahrrad durch den wilden Westen fahren und Yogaübungeniii machen. Doch schließlich kommt er um den Kampf nicht mehr herum. Die Saufkumpels seines verstorbenen Vaters bringen ihm Schiessen und Reiten bei, und dass man den Gegner mit grimmigem Blick oder siegesgewissem Lächeln verunsichern soll. Schließlich reitet unser Held auf der Highstreet ein. Statt nun mit gestärktem Selbstbewusstsein den Gegner abzuballern, (den Konkurrenten damit zwar aus dem Weg zu räumen, sich selbst aber mit diesem Akt in die ödipale Ordnung eingefügt zu haben) macht Hill etwas vollkommen anderes, nämlich zunächst eine Gymnastikübung auf dem Pferd: Einen virtuosen, halbminütigen Schulterstand.

Damit gelingt Terence Hill nicht nur der Sprung heraus aus einer ödipalisierenden Situation, sondern darüber hinaus die Sprengung des Formats Western auf so nachdrückliche Weise, dass danach eigentlich nie wieder eine Duellszene gedreht werden kann: The duel to end all duels.

Wie der gute Künstler, zieht sich Terence Hill also nicht in den Elfenbeinturm der Institution zurück, sondern begibt sich mitten unter die Leute. Ich finde die, von manch universitärem Verteter propagierte Rückkehr zur Kritischen Theorie, reinen Kunst und einer Adornomässigen Distanziv zum weltlichen Geschehen weder möglich noch wünschenswert – ist die Kritik an diesem trennenden Denken und dieser fiktiven Distanz als „Königswissenschaft“v doch gar nicht zu widerlegen.

Doch für den Ausflug ins echte Leben kann Terence Hill einem zwei wichtige Dinge mit auf den Weg geben: Spiel, erstens, das Spiel nach eigenen Regeln; schau Dir die Welt aus einer anderen Perspektive an; führe eine neue, künstlerische Sprache ein und setze damit die Sprache der herrschenden Institution ausser Kraft. Zweitens: erscheine zu einem Dialog mit der Zivilgesellschaft niemals unbewaffnet.

http://www.terencehill.com/videoclips/manoftheeast2.html

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i Dan Graham: Dean Martin / Entertainment as Theater, in: Blasted Allegories: An Anthology of Writings by Contemporary Artists, Vol. 2, Hg. Brian Wallis

ii Für unseren Fall nebenbei interessant: Hill spielt einen aus der Universität in den Westen und die Niederungen der Realität Zurückkehrenden mit dem treffenden Namen „Sir Thomas More“.

iii In diesem Zusammenhang sagt Hill den bezeichnenden Satz: „Man, do not forget - you are still an animal“. Deleuze & Guattari vor Deleuze & Guattari... Terence Hill’s Übung im tier-werden, siehe: http://www.terencehill.com/videoclips/manoftheeast1.html

iv Analog zur Kritik orthodoxer linker Gruppen an der EZLN, man könne die Welt nicht mit Gedichten verändern, und der konjunkturellen Wendung gegen Negri & Hardt im Namen der reinen Lehre.

v Siehe hierzu Anne Querrien’s Untersuchung des Gotischen Kathedralenbaus als „mindere Wissenschaft“, als Gegenteil staatsförmigen Denkens. Die mittelalterlichen Kathedralenbauer arbeiteten mit einer intuitiven (archimedischen) Statik, die Spannungen berechnen konnte, im Gegensatz zur, der Schwerkraft verhafteten, euklidischen Mathematik (Königswissenschaft). Diese bahnbrechende Untersuchung Anne Querrien’s aus den späten siebziger Jahren ist immer noch nicht veröffentlicht. Verweise darauf in: Deleuze, Guattari: 1000 Plateaus, Kapitel 12., 1227; Abhandlung über Nomadologie: Die Kriegsmaschine

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