Male lieber ungewöhnlich

Andrea Winklbauer

Donnerstag, 20. März 2008, 16:23:45 Uhr, NZZ Online

"Störenfriede – der Schrecken der Avantgarde von Makart bis Nitsch" im Lentos-Kunstmuseum Linz. Eine Rezension in der Neuen Zürcher Zeitung

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Unter dem Titel «Störenfriede – der Schrecken der Avantgarde von Makart bis Nitsch» führt das Kunstmuseum Lentos in Linz einen überaus bunten Reigen von Kunstwerken vor, die bei ihrer Veröffentlichung grössere oder kleinere Skandale provoziert haben.
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Hermann Bahrs Polemik mag eines wahren Kerns nicht entbehrt haben: «In Wien wird von einem Bilde verlangt, dass es zu allen Möbeln passen, nur nicht auffallen und, wenn man es nach dem Essen betrachtet, einen unbedenklichen und hübschen Eindruck machen soll», ätzte der Schriftsteller und Kritiker 1896 nach einem Ausstellungsbesuch im Künstlerhaus. Was das Wien der Wende zum 20. Jahrhundert aus heutiger Sicht so glamourös erscheinen lässt, sind natürlich weder die unbedenklichen und hübschen Bilder noch ihre Besitzer. Es sind die damaligen «Störenfriede», die um 1900 Front gegen den gutbürgerlichen Kunstgeschmack machten. Und obwohl das Phänomen des Kunstskandals ein geografisch verbreitetes ist, ergibt doch auch eine allein auf Österreich bezogene Untersuchung Sinn: Für eine Ausstellung wie «Störenfriede – der Schrecken der Avantgarde von Makart bis Nitsch» im Linzer Kunstmuseum Lentos lässt sich lustig aus dem Vollen schöpfen.

Je mehr Feind, desto mehr Ehr
Der Avantgardist muss doch anecken, oder anders ausgedrückt: je mehr Feind', desto mehr Ehr. Dem Historisten Hans Makart, an sich nicht als Vertreter der Avantgarde verschrien, verdankte die noch immer ein wenig von der äusserlichen Zurückhaltung des Vormärz temperierte Donaumetropole um 1870 ihre ersten wirklichen Hitzewallungen durch Kunst: Der Salzburger, der in München bei Piloty studiert hatte, kümmerte sich zwar nicht um historische oder anatomische Genauigkeit, bot dafür aber den staunenden Wienern eine monumentale, ganz auf Sinnlichkeit gesetzte Malerei, die dem in Pathosformeln erstarrten Historismus für ein paar Jahre eine rauschhafte Lebendigkeit abrang. Sosehr die Kritiker, darunter einige Konkurrenten, auch über Makarts ausgreifenden und unbekümmerten Stil schimpften – das Publikum verliebte sich. Und so lässt sich dieser Skandal, der bald in eine gewinnbringende Liaison von Geschrei und Erfolg mündete, wohl nicht ganz mit dem vergleichen, was einige Jahrzehnte später um Gustav Klimt herum geschah.

Schon als das erste der drei berühmten Fakultätsbilder Klimts, die «Philosophie», 1900 in einer Ausstellung zu sehen war, kam es zum Eklat mit dem bürgerlichen Publikum und dem konservativen Lager der Kritik: «Körper sind es, spukhaft vom bläulichen Verwesungshauche überzogen», war etwa zu lesen. Die Debatte zog sich über fünf Jahre hin, kostete einen Minister das Amt und endete damit, dass Klimt freiwillig alle Vorschüsse zurückzahlte und die Bilder behielt.

Wie wir wissen, hat Klimts Werk sich letztlich durchgesetzt und den Rahmen erweitert, innerhalb dessen das System Kunst funktioniert, oder besser: funktionierte, denn in der Zwischenzeit brachen andere «Störenfriede» in die Idylle ein, um weiterzubasteln am damals noch unvollendeten Projekt der Provokation: Egon Schiele, der «modernste Seelen-Höllen-Breughel», und Oscar Kokoschka, seines Zeichens ein «Seelenaufschlitzer». Besonders spektakulär ist der Fall von Anton Koligs Fresken im Klagenfurter Landhaus, bei dem es bis zur physischen Vernichtung der skandalisierten Werke kam: Nur schwarzweisse Fotografien dokumentieren in der Ausstellung das Aussehen dieser mehrteiligen, 1929 fertiggestellten expressiv-realistischen Auftragsarbeit. Die Bilder mit «Volksszenen» wurden nach lautstarken Protesten und Debatten 1935 verhängt und im «Anschluss»-Jahr 1938 abgeschlagen.

Weltverbesserungspathos

Zu den Höhepunkten der Skandalgeschichte der österreichischen Kunst gehört auch die gemeinsame Uni-Aktion «Kunst und Revolution» einer Reihe von Wiener Aktionisten, darunter Günter Brus, Otto Muehl, Valie Export und Oswald Wiener, vom 7. Juni 1968, bei der u. a. Günter Brus nackt und mit seinem eigenen Kot beschmiert auf einem Katheder liegend onanierte und dazu die Bundeshymne sang. Die Zweite Republik reagierte not amused: Brus und Muehl fuhren Verurteilungen für die «Uni-Ferkelei» ein. Mit den Sechzigern, in denen ein modernistisches Weltverbesserungspathos noch einmal das grosse Wort führte, endet logisch auch der Ausstellungsrundgang.

Störenfriede – der Schrecken der Avantgarde von Makart bis Nitsch. Lentos-Kunstmuseum Linz. Bis 18. Mai 2008. Katalog € 28.–.