Übersetzt von Hito Steyerl
Ich werde hier den Begriff des öffentlichen Raums im Verhältnis zum Konzept der sogenannten kulturellen Übersetzung diskutieren. Dieses Konzept wurde in letzter Zeit (am Ende der Achtziger und in den Neunzigern) innerhalb der postmodernen – und vor allem postkolonialen – Reflexion entwickelt, um einige ihrer drängendsten Probleme zu lösen, wie etwa das Problem der Universalität in der Kultur oder das Problem der Emanzipation im sozialen und politischen Raum, den wir historisch – um einen Begriff von Ernesto Laclau zu verwenden – "jenseits der Emanzipation" sehen.
Lassen Sie uns mit einer ganz konkreten Vision beginnen, die die politische und kulturelle Zukunft der Europäischen Union betrifft. In seinem letzten Buch, das dieses Jahr auf deutsch veröffentlicht wurde, bearbeitet der französische Philosoph und Postmarxist Étienne Balibar das Problem einer gemeinsamen europäischen Kultur.[1] Er argumentiert, dass wir noch nicht sagen können, welche Form eine solche europäische Kultur annehmen wird: ob es eine mechanische Summe der nationalen Kulturen der EU-Mitglieder oder – universalistischer – eine Art Amalgam sein wird, das völlig neue Eigenschaften besitzt.
Dennoch gibt es etwas, das wir schon wissen: Eine gemeinsame europäische Kultur – ebenso wie die europäische Demokratie – braucht einen gemeinsamen europäischen öffentlichen Raum. Und in der Konsequenz braucht dieser gemeinsame öffentliche Raum, um zu funktionieren, eine gemeinsame Sprache. Welche Sprache soll das sein? Englisch kann diese Rolle nicht einnehmen, glaubt Balibar. Denn es ist gleichzeitig mehr und weniger als eine gemeinsame europäische Sprache. Es ist auf der einen Seite ein globales Mittel der Verständigung, die unendlich viele verschiedene Formen hat, und auf der anderen ist es die nationale Sprache bestimmter Nationalstaaten.
"Die ‚europäische
Sprache‘ ist kein Code, sondern eher ein sich permanent veränderndes System verschiedener
linguistischer Gewohnheiten, die konstant in einem Prozess der Begegnung
involviert sind, mit anderen Worten: Es ist eine Übersetzung (...), die
Realität sozialer Übersetzungspraktiken (...)."[2]
Wenn eine Nation immer
eine Sprachgemeinschaft ist, dann kann Europa entsprechend dieser Idee nur als
eine Art Übersetzungsgemeinschaft vorgestellt werden. Natürlich sehen wir uns
hier sofort dem nächsten Problem gegenüber: Wenn eine Nationalsprache – die,
wie wir alle in unserer Erziehung erfahren haben, immer schon national ist,
sowohl in ihrem Konzept als auch in ihrer Praxis – die Eigenschaft hat, eine
Nation zu errichten und sie zu reproduzieren, was ist dann die soziale oder
politische Eigenschaft der Übersetzung als Sprache?[3]
Balibar gibt uns keine
Antwort auf die Frage, welche neue Form einer politischen Gemeinschaft in der
Europäischen Union entwickelt werden soll. Er schlägt stattdessen eine neue
kulturelle Revolution vor, von der er erwartet, dass sie das Problem zu lösen
vermag. Diese Revolution soll damit beginnen, das immer noch dominante Konzept
der Erziehung aufzugeben, das auf Humboldts Sprachphilosophie beruht, welche
der Sprache eine wichtige Rolle im Prozess der Nationenbildung zuschreibt.
Balibars Gegenkonzept – das der europäischen Sprache als Übersetzung – ist
nicht einfach eine Utopie. Balibar findet es schon praktisch realisiert vor,
nämlich auf zwei Ebenen: Die erste Ebene ist die der intellektuellen Elite in
der Tradition von wurzellosen, exilierten Schriftstellern und Intellektuellen
wie etwa Heine, Joyce, Canetti, Conrad usw.; die zweite Ebene ist die der
MigrantInnen, die die unterste Stufe in der Hierarchie des europäischen
Arbeitsmarkts einnehmen. Dennoch ist die größte und immer noch dominante
mittlere Ebene – die der monolingualen nationalen Schulsysteme – noch nicht ernsthaft
durch das Konzept der Übersetzung herausgefordert worden, hebt Balibar hervor.[4]
Besonders interessant
an Balibars Version eines neuen europäischen öffentlichen Raums, der durch Übersetzungspraktiken
produziert wird, ist, dass er ihm einen genuin politischen – sogar
emanzipatorischen – Effekt zuschreibt. Er glaubt, dass das Konzept der
Übersetzung ein Modell für eine neue Praxis eines globalen
Informationsaustauschs bereitstellt, das uns eine Möglichkeit dazu gibt, der
Globalisierung durch neue Formen kulturellen Widerstands entgegenzutreten und
eine Art Gegenmacht jenseits der hegemonialen identitären Logik zu errichten,
jenseits der, wie Balibar schreibt, "nationalen Sprachkultur"[5].
Lassen Sie mich an
diesem Punkt die zentrale Frage stellen: Wie befreit, wie emanzipiert
Übersetzung eigentlich, wie bringt sie einen "positiven" sozialen
Wandel hervor?[6]
In der Antwort auf
diese Frage werde ich mich auf die Übersetzungsmodelle konzentrieren, die den
Begriff der Übersetzung auf eine direktere Art mit einer emanzipatorischen
Potenzialität aufladen und mit einer subversiven politischen und kulturellen
Wirkungsweise. Es gibt grundsätzlich zwei Modelle dieser Art. Ich werde sie das
dialektische und das transgressive Modell nennen.
Das erste gehört zur
intellektuellen Tradition der Frankfurter Schule und ihrer theoretischen
Rezeption der Psychoanalyse. Es ist bekannt, dass Habermas die Psychoanalyse
als paradigmatisches Beispiel einer kommunikativen Praxis darstellt, die einen
emanzipatorischen Effekt hat. In Erkenntnis
und Interesse versteht er Verdrängung, einen der wichtigsten
psychoanalytischen Begriffe, gemäß dem so genannten
"Exkommunikationsmodell". Unter dem Druck gegebener sozialer Normen
werden einige Symbole aus der Sphäre der öffentlichen Kommunikation entfernt
oder isoliert, etwa jene, die, um ein klassisches Beispiel zu verwenden, die
erotischen Gefühle des Jungen gegenüber seiner Mutter symbolisieren.
Die Exkommunikation dieser Symbole wird von Habermas auch als Privatisierung ihrer Bedeutung beschrieben. Der psychoanalytische Begriff der Verdrängung wird schließlich eine Art repressiver Produktion einer Privatsprache.[7]
Die Aufgabe der Psychoanalyse ist also, diese Privatsprache, die von den PatientInnen pathologisch verwendet wird, in eine "öffentliche Sprache" rückzuübersetzen. In der Traumdeutung definiert Freud selbst die Interpretationen, die ihm durch die Psychoanalyse angeboten werden, als "Übersetzungen aus einer fremden Art des Ausdrucks in diejenige, die uns bekannt ist".
Die Therapie hilft den PatientInnen, den verkrüppelten, amputierten, korrumpierten Text ihrer Privatsprache zu lesen und diese verzerrte Form des Ausdrucks in die Ausdrucksform des öffentlichen Ausdrucks zu übersetzen. Dies soll jedoch auch einen emanzipatorischen Effekt haben. Die Therapie emanzipiert die Erinnerungen der Patienten, die durch ihre Krankheit blockiert waren, sodass sie in die Lage gesetzt werden, ihre eigene Lebensgeschichte zu rekonstruieren, was bedeutet, dass sie fähig werden, den Prozess ihrer eigenen Formation oder ihres eigenen Bildungsprozesses zu reflektieren.
Das hat natürlich
soziale Konsequenzen: Ein kranker Mann, der wegen seiner Krankheit aus der
Gemeinschaft ausgeschlossen wurde, kommt aus dem Ghetto seiner Privatsprache
heraus und wird wieder ein Mitglied der Gemeinschaft, die immer schon eine
Sprachgemeinschaft ist, oder einer Gemeinschaft, die durch Kommunikation
generiert wurde.
Der ganze Prozess
dieser Reintegration des Ausgeschlossenen – also beides: die Rückkehr des ausgeschlossenen
symbolischen Inhalts in die Sphäre der öffentlichen Kommunikation und die
Rückkehr des ausgeschlossenen Individuums in die Gemeinschaft – wird von
Habermas mit dem alten hegelianischen Begriff der Selbstreflexion erklärt.
Diese Selbstreflexion identifiziert er explizit mit Übersetzung: "Übersetzung
des Unbewussten ins Bewusstsein". Es ist nur die (Selbst-)Reflexion als
Übersetzung, die die Verdrängung schließlich aufheben kann. Was der Prozess der
Selbstreflexion schließlich hervorbringt, ist Transparenz: auf der einen Seite
die Transparenz der eigenen Existenz und auf der anderen die der Gesellschaft
als ganzes. Die rationale Transparenz ist daher die conditio sine qua non des
öffentlichen Raums.
Dieser Akt der
Selbstreflexion als Übersetzung ist genau das, was die Emanzipation
hervorbringt – die rationale Wiederaneignung des eigenen entfremdeten Selbst,
das aufgrund einer mentalen Störung verdrängt wurde und dadurch intransparent
und opak gemacht wurde. Dieses Konzept des öffentlichen Raums stellt jedoch
einen genuin dialektischen Prozess dar. Es hat daher auch seine eigene Kraft,
die nur in dialektischen Begriffen vorgestellt werden kann – als Subjekt, das
sich seine entfremdete Substanz wiederaneignet.
Innerhalb des so
genannten postmodernen und postkolonialen Diskurses wurde das Konzept der
Übersetzung und ihre politische Bedeutung völlig anders definiert. Zunächst
hat sich die Art, wie wir den historischen Raum und die politischen Probleme
verstehen, die diesen Raum dominieren, völlig verändert. Statt des
Habermas'schen öffentlichen Raums, der seine fixierte politische Bedeutung
innerhalb des Nationalstaats hatte und die eigentliche Essenz seines
demokratischen Charakters darstellte, ebenso wie einen normativen Erzeuger
einer demokratischen Verbesserung der breiteren internationalen politischen Gemeinschaft,
die nur in Kant'schen Begriffen einer Welt vorgestellt werden kann, die
fortschreitet und sich in Richtung des ewigen Friedens fortentwickelt, haben
wir es im neuen postmodernen Raum mit einem endlosen politischen Spiel
verschiedener Identitäten zu tun, die fast vollständig kulturell definiert
sind.
Im historischen Raum,
der ausschließlich durch die wechselseitigen Beziehungen dieser Identitäten geformt
wird, gibt es keinen Platz mehr für ein Subjekt der Geschichte oder des
politischen Wandels, es gibt keinen gemeinsamen öffentlichen Raum mehr, der
gemäß irgendeiner Art von universalistischer Logik verstanden werden kann, es
gibt kein Fundament der Gesellschaft mehr, wie etwa die bekannte materielle,
ökonomische Basis der sozialen Totalität in der marxistischen Theorie, es gibt
keine große Erzählung einer universalen Emanzipation mehr, usw.
Innerhalb dieses
Kontextes hat sich der Begriff des öffentlichen Raums ebenfalls verändert. Der
öffentliche Raum nimmt nun nicht mehr den zentralen Raum der Gesellschaft ein,
weder auf der Ebene des Nationalstaats noch auf der supra- oder
internationalen Ebene. Wenn wir über die Bedeutung von öffentlichem Raum in
unseren Gesellschaften sprechen oder wenn wir über die sogenannte
Weltöffentlichkeit sprechen, verwenden wir den Begriff nur auf eine deskriptive
Weise. In der Wirklichkeit können wir ihm keinen wesentlichen politischen
Gehalt mehr zuschreiben. Der öffentliche Raum, sowohl im nationalen wie auch im
internationalen Kontext, ist nicht mehr wie früher der Raum der politischen
Veränderung. Das passiert nicht, weil der öffentliche Raum irgendwie schwach
geworden ist, oder weil er einfach seine Wichtigkeit und seine politische
Bedeutung verloren hat. Es ist die Idee der politischen Veränderung selbst, die
aus unserem politischen und historischen Horizont verschwunden ist. Es ist das
Konzept der sozialen Veränderung, über das wir nicht mehr sprechen können,
nicht nur der Verlust an politischer Bedeutung des öffentlichen Raums.
Statt der politischen
Veränderung – die unvorstellbar geworden ist – sprechen wir jetzt von
kultureller Subversion. Wenn der öffentliche Raum in diesem Sinne immer noch
eine politische Bedeutung hat, kann diese nur in Begriffen der kulturellen
Subversion definiert werden. Es ist dies jedoch nicht mehr der alte Begriff des
öffentlichen Raums, der die zentrale Rolle in der demokratischen Reproduktion
der alten modernistischen, aufgeklärten, transparenten Gesellschaft spielte.
Dieser Umstand bezieht
sich auch auf die so genannte postkoloniale Situation. Im Gegensatz zu Habermas
und seiner spätmodernen Vision der sozialen Rolle des öffentlichen Raums, ist
der Begriff der Übersetzung in der postkolonialen Theorie nicht direkt mit dem
Konzept des öffentlichen Raums verknüpft. Es ist nunmehr der sogenannte Dritte
Raum, der auf eine völlig verschiedene Weise die politische und soziale Rolle
des öffentlichen Raums übernimmt. Der Dritte Raum ist der Raum der Hybridität
oder – wie Homi Bhabha in The location of
culture schreibt – der Raum der Subversion, der Transgression, der Blasphemie,
der Häresie. Bhabha glaubt, dass Hybridität – und kulturelle Übersetzung, die
für ihn ein Synonym der Hybridität ist – in sich selbst politisch subversiv
ist. Hybridität ist auch der Raum, in dem alle binären Aufteilungen und
Antagonismen, die für moderne Konzeptionen typisch sind, inklusive der alten
Opposition zwischen Theorie und Politik, nicht mehr funktionieren.
Statt des
dialektischen Konzepts der Negation spricht Bhabha nunmehr über die Verhandlung
oder Übersetzung als den einzigen Weg, die Welt zu verändern und etwas
politisch Neues hervorzubringen. Eine emanzipatorische Erweiterung der Politik
ist für ihn nur auf dem Feld der kulturellen Produktion möglich: "Formen
der populären Rebellion und der Mobilisierung sind oft am meisten subversiv und
transgressiv, wenn sie durch oppositionelle kulturelle Praxen geschaffen
werden."[8]
Innerhalb der
postkolonialen Konzeption der kulturellen Übersetzung verliert der öffentliche
Raum seinen autonomen politischen Status. Er verschwindet als ein unabhängiger
Faktor und wird durch eine erweiterte Sphäre der Kultur verschluckt, die zum
einzigen Ort politischer Veränderungen geworden ist. Wir haben es hier mit der
"durchdringenden Hegemonie der Kultur selbst, als einem nicht
transzendierbaren Horizont"[9]
zu tun.
Die amerikanische
feministische Philosophin Judith Butler verwendet das Konzept der kulturellen
Übersetzung, um eines der traumatischen Probleme des postmodernen Denkens zu
lösen – das Problem der Universalität.[10]
Für Butler gibt es keine Kultur, die universelle Bedeutung beanspruchen könnte.
Dies heißt jedoch nicht, dass es nichts Universelles in der Art gibt, in der
wir heute die Welt wahrnehmen. Die Universalität ist für sie zum Problem der
interkulturellen Übersetzung geworden. Butler erklärt sie ähnlich wie das
Habermas'sche "Exkommunikationsmodell". Der Effekt der Universalität
wird durch die Dynamik des Auschließungs-/Einschließungsprozesses produziert.
Butlers Formel lautet: Universalität kann nur als Antwort auf ihr eigenes ausgeschlossenes Außen formuliert werden. Das, was aus dem existierenden Modell der Universalität ausgeschlossen wurde, setzt dieses Konzept – von seinem eigenen Außen her – unter Druck, weil es in das Konzept eingeschlossen und davon akzeptiert werden will. Dies kann jedoch nur dann passieren, wenn dieses Konzept selbst, soweit wie es notwendig ist, verändert wird, um das Ausgeschlossene einzuschließen. Als ein Resultat dieses Drucks wird das existierende Konzept von Universalität schließlich reartikuliert. Der Prozess, durch den das Ausgeschlossene wieder in der Universalität zugelassen wird, wird von Butler als Übersetzung bezeichnet. Die kulturelle Übersetzung allein – als eine "Wiederkehr des Verdrängten" – befördert die heutige Demokratie. Sie fördert sie durch subversive Praxen, die die alltäglichen sozialen Beziehungen verändern.
Lassen Sie uns noch
einmal hervorheben: Die Art, in der die soziale Veränderung hervorgebracht
wird, ist nicht dialektisch. Sie ist stattdessen transgressiv. Sie geschieht
nicht als Ergebnis von Zusammenstößen zwischen sozialen Antagonismen, also
durch den Prozess der Vermittlung, sondern durch eine unendliche Transgression
der existierenden sozialen und kulturellen Begrenzungen, durch gewaltfreie,
demokratische, übersetzende Verhandlungen. Dieses Modell beschreibt präzise,
wie das postmoderne Konzept des öffentlichen Raums funktioniert. Tatsache ist,
dass wir dieses Konzept als selbstständigen politischen Agenten nicht mehr
brauchen.
Dieses Verständnis
politischer Veränderung wurde einer Kritik ausgesetzt, die unter ähnlichen
Voraussetzungen der postmodernen und/oder postkolonialen Reflexion artikuliert
wird, und die ebenfalls mit dem Begriff der Übersetzung arbeitet. Ich spreche
hier von Gayatri Spivaks Konzept des "strategischen Essenzialismus".
Spivak weiß sehr gut, dass wir durch die heutige theoretische Reflexion jede
mögliche Identität radikal dekonstruieren und ihren Essenzialismus einfach als
Imagination, Konstruktion, usw. entlarven können. Die Politik jedoch arbeitet
noch mit diesen essenzialistischen Identitäten – wie etwa der Nation –, als
wüsste sie nicht, dass es sich dabei nur um Illusionen handelt. Wenn wir also eine
reale politische Veränderung herbeiführen wollen, schlägt Spivak "einen
strategischen Gebrauch des positivistischen Essenzialismus in einem deutlich
sichtbaren politischen Interesse"[11]
vor.
Das ist der Grund,
warum das Konzept des "strategischen Essenzialismus" ebenfalls als
Übersetzung verstanden werden sollte. Denn die historische Situation, in der
wir leben, artikuliert sich in zwei verschiedenen Sprachen: Die eine ist die
der postmodernen anti-essenzialistischen Theorie, die andere die einer parallelen,
alten, essenzialistischen politischen Praxis. Spivaks Konzept des
"strategischen Essenzialismus" erkennt einfach an, dass es keine
direkte Übereinstimmung zwischen beiden Sprachen gibt – sie können nicht auf
herkömmliche dialektische Weise in einem dritten universellen Begriff
aufgehoben werden, der als eine dialektische Einheit der beiden funktioniert.
Es gibt daher nur einen möglichen Weg der Kommunikation zwischen den beiden:
den einer Art Übersetzung.
An diesem Punkt sehe ich immer noch die Notwendigkeit der alten politischen Kraft des öffentlichen Raums als einem Ort der Übersetzung zwischen, sagen wir, einem tatsächlichen Akt der kulturellen Subversion und der altmodischen Machtpolitik. Denn Nationen – in der politischen Form der Nationalstaates und der nationalen politischen Öffentlichkeit – existieren immer noch, zumindest innerhalb der politischen Realität, mit der wir es zu tun haben. "Nationalstaaten bedeuten für die Geopolitik das, was Briefe für das Alphabet bedeuten", schreibt Spivak. Sie findet, dass der Nationalstaat immer noch "eine gute abstrakte Kategorie für transnationale Diskriminierung ist", die die tatsächlichen Machtverhältnisse artikuliert und verständlich macht. Die existierende Weltordnung ist immer noch als ein System von Nationalstaaten gegliedert.
Die Lösung des Problems, das durch die Globalisierung gestellt wird, kann jedoch nicht innerhalb eines einzelnen Nationalstaats gefunden werden. Daher brauchen wir das, was Spivak als "transnationale Lesefähigkeit"[12] bezeichnet. Das ist ein Weg, um mit unserer historischen Situation in beiden Sprachen umzugehen: mit der der theoretischen anti-essenzialistischen Dekonstruktion und der anderen der altmodischen essenzialistischen Machtpolitik. Dieser Weg der "transnationalen Lesefähigkeit" suggeriert, dass der öffentliche Raum, mit dem wir uns befassen und den wir (re)produzieren, etwa – um ein Beispiel von besonderem Interesse zu wählen – im Rahmen unserer Antiglobalisierungsproteste, schon immer ein Raum der Übersetzung ist.
[1] Étienne Balibar, "Sind wir Bürger Europas? Politische Integration, soziale Ausgrenzung und die Zukunft des Nationalen", Hamburg: Hamburger Edition, 2003.
[2] Ibid., S. 289.
[3] Balibars Vision impliziert offensichtlich, dass die Europäische Gemeinschaft – im sozialen und politischen Sinn – etwas fundamental anderes als ein gewöhnlicher Nationalstaat sein soll.
[4] Vgl. ibid, S. 289.
[5] Ibid.
[6] Bei der Antwort auf diese Frage werde ich die klassischen romantischen Theorien der Übersetzung aussparen, wie etwa die von Humboldt. Diese konzentrieren sich ausschließlich auf die so genannten linguistischen Übersetzungen als eine Praxis der Nationalliteratur. Ihre soziale Rolle, wie sie von Humboldt, Herder oder Schleiermacher defniert wurde, erschöpft sich im Aufbau der Nation als einer Sprachgemeinschaft, oder konkreter: in einer Bereicherung des Geistes der Nation. Ich werde auch die Übersetzungstheorie von Walter Benjamin überspringen, die für die spätere Entwicklung von Derridas Konzept der Dekonstruktion und deren Verwendung in der postkolonialen Theorie zentral ist.
[7] Um den sozialen Charakter dieses Prozesses hervorzuheben, verwendet Habermas explizit eine konkrete soziale Metapher: die Exkommunikation oder Isolation von Kriminellen aus ihrer sozialen Gemeinschaft.
[8] Homi Bhabha, The Location of Culture, London, New York: Routledge, 1994, S. 20.
[9] John Beverly, Subalternity and Representation, Arguments in Cultural Theory, Durham and London: Duke University Press, 1999, S. 100.
[10] Judith Butler, "Universality in Culture", in: Martha C. Nussbaum with Respondents, edited by Joshua Cohen, For Love of Country: Debating the Limits of Patriotisms, Boston: Beacon Press, 1996, S. 45–53. Vgl. auch J. Butler / E. Laclau / S. Zizek, Contingency, Hegemony, Universality, Contemporary Dialogues on the Left, London; New York: Verso 2000.
[11] Gayatri Spivak, In Other Worlds: Essays in Cultural Politics, New York : Methuen, 1987, S. 205.
[12] "This learning to ask is 'literacy' in the articulation of the names of nation-states that assemble and disassemble a universal meta-message that is the incessantly written but never readable synonym for the 'globe' standing in for the 'universe'." Gayatri Chakravorty Spivak, "Questioned on Translation: Adrift, in: Public Culture, Volume 13, Number 1, Winter 2001, S.. 15.