19 03 08 „… fröhlicher außerhalb der Institutionen“
Ines Doujak und Luisa Ziaja
Das im folgenden wieder gegebene Gespräch fand am 9.
Jänner 2008 in Wien statt. Es wurde von den Bildpunkt-RedakteurInnen Nora Sternfeld und Jens Kastner geführt
und in Absprache mit den Teilnehmerinnen gekürzt und überarbeitet. Es erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende
Kunst, Wien, "zwei, drei, viele... achtundsechzig", Frühjahr
2008, S. 10-12.
Im Zuge der Politisierung um
1968 kam es einerseits zu einer kritischen Auseinandersetzung mit
institutionellen Logiken. Institutionen wurden mit aktivistischen und
künstlerischen Mitteln sowohl radikal in Frage gestellt wie strategisch
unterwandert, ebenso verlassen und durchbrochen wie verändert und neu gegründet.
Im Anschluss daran wurde andererseits der „Marsch durch die Institutionen“ von
einer gegenhegemonialen Strategie zu einer legitimatorischen Rhetorik: Dabei
schien es mitunter so, als diente er bloß zur Überbrückung des kurzen Moments
der Scham, während die Seite von der Kritik an den gesellschaftlichen
Verhältnissen zu den Instanzen ihrer Legitimation gewechselt wurde. Uns
interessiert, welche aktuellen Fragen sich im Spannungsfeld
Institution/Kunst/Kritik heute ergeben, was wir dabei von 68 lernen können, was
daran zu verwerfen wäre und wie ihr euch dazu positioniert.
Bildpunkt:
Luisa, du arbeitest gerade an einem Ausstellungsprojekt zu „instituierenden Praxen“
– eine Ausstellung, die du mit Charlotte Martinz-Turek im März in der Kunsthalle
Exnergasse eröffnen wirst. Im gegenwärtigen Kunst- und Ausstellungsdiskurs ist
von einem „New Institutionalism“ die Rede. Was ist darunter eigentlich zu
verstehen und wodurch unterscheidet es sich vom „Marsch durch die Institutionen“
der 68er?
L. Z.: Das Ausstellungsprojekt beschäftigt
sich mit Institutionskritik als instituierender Praxis: Wir gehen von der
inzwischen in der Kunstgeschichte kanonisierten Institutionskritik aus und
fragen dabei nach Mechanismen dieser Kanonisierung und ihren zwangsläufigen
Ausschlüssen. Klarerweise aber auch nach Strategien, die entwickelt wurden und
werden, um diese Ausschlüsse sichtbar zu machen. Als Gegenentwurf einer
eskapistischen Negierung der Institution gibt es zudem vermehrt Ansätze der so
genannten Instituierung, die die Institutionskritik ausgehend von einer
kritischen Analyse zu Handlungsoptionen weiterzuentwickeln versucht.
Der
New Institutionalism wird dabei durchaus auch eine Rolle spielen, steht aber
nicht im Vordergrund. Es handelt sich um einen Begriff, der eigentlich aus den
Gesellschaftswissenschaften kommt und neoliberale Organisations- und
Managementtheorien bezeichnet, seit einigen Jahren aber im Kunstfeld konträr
kontextualisiert diskutiert wird. Hier steht er für das, was Charles Esche als
das Schaffen eines aktiven Raums bezeichnet hat, der jenseits der reinen
Repräsentation von Kunst von einer kollaborativen, prozessualen und diskursiven
Programmatik geprägt ist. Solche Strategien wurden an kleineren Institutionen
auch erprobt. Allerdings ist nach ein paar Jahren des Experimentierens in
dieser Hinsicht inzwischen schon wieder ein Backlash zu verzeichnen, da viele
dieser Institutionen entweder einen konservativen „turn“ gemacht haben oder
sogar ganz geschlossen wurden. Es stellt sich also die Frage, inwieweit der New
Institutionalism nur eine temporäre Erscheinung war, quasi eine Blase, auf
deren Platzen jetzt neu reagiert werden muss. Und zwar vor dem Hintergrund,
dass sich die Bedingungen für diskursive, nicht der Verwertungslogik
unterworfene Formate innerhalb des Kunstfeldes enorm verschärft haben.
Ein
wesentlicher Unterschied zum „Marsch durch die Institutionen“ ist sicherlich
der Aspekt der Selbstkritik, der in den Ansätzen des New Institutionalism und
der Instituierung eine wesentliche Rolle spielt. Trotz der Problematik der
Legitimation, die ihr angesprochen habt, sollte der „Marsch durch die
Institutionen“ allerdings auch nicht vollends verdammt werden. Denn der hatte
ja nicht zuletzt wesentliche, positive Auswirkungen auf Institutionen wie die
Universitäten oder Schulen. Die Frage nach angemessenen politischen und/oder
künstlerischen Praxen bleibt aber evident.
Bildpunkt:
Ines, deine künstlerische Praxis beschäftigt sich mit Logiken der Normierung in
der Gesellschaft. Dazu gehört eine Analyse und Kritik struktureller Rassismen,
Postkolonialismen, Heterosexismen und Heteronormativitäten. Welche Rolle spielt
die Institution bei einer künstlerischen Praxis, die an der Schnittstelle
zwischen Kunst und Politik angesiedelt ist? Eröffnet oder blockiert sie mehr?
I. D: Ich
bin an dieser Fragestellung gar nicht mehr so sehr interessiert. Das hängt
eventuell mit meiner Geschichte innerhalb der autonomen Frauenbewegung
zusammen, in der diese Themen ausführlich diskutiert worden sind. Daraus haben
sich sowohl Dogmen als auch Möglichkeiten ergeben. Ich bin in dieser Hinsicht
mittlerweile aber sehr pragmatisch. Eine künstlerische Arbeit funktioniert
günstigstenfalls so, dass sie in verschiedenen Kontexten wirksam ist. Das lässt
sich innerhalb einer Arbeit auch strukturell anlegen. Die Frage, ob mit der
oder gegen die Institution, verliert dadurch ihre Dringlichkeit.
Allerdings gestalten sich
die Arbeitsprozesse in autonomen Räumen immer noch angenehmer. Sie sind nicht
dermaßen produktorientiert und es geht darin nach wie vor um Konzepte wie
Empowerment, Disziplinlosigkeit und Experiment. Institutionen sind auf das
Produkt fokussiert. Das muss allerdings die Bedeutung des Prozesses nicht
unbedingt ausschließen. Aber ich finde es fröhlicher, außerhalb der
Institutionen zu arbeiten.
Bildpunkt:
Wenn die Fröhlichkeit die positive Kehrseite der Dogmen bei den autonomen
Räumen ist, was ist dann im Hinblick auf die Institutionen – neben den Grenzen
wie der Orientierung am Produkt – die positive Seite der Institutionen? Was
ermöglichen sie?
I.D.: Die
Institution kann beispielsweise große Öffentlichkeiten herstellen. Das ist
nicht unbedingt für alle, aber für bestimmte Themen sehr wichtig. Ich habe das
mit meiner Arbeit zu Biokolonialismus, den Siegesgärten,
bei der Documenta 12 erprobt und war sehr glücklich über die enorme
Multiplikation des politischen Anliegens. Ein weiterer Vorteil der
Zusammenarbeit mit Institutionen sind natürlich auch die finanziellen
Ressourcen. Man braucht ja auch Geld für Kunst. Zudem halte ich es für wichtig,
als KünstlerIn innerhalb des Feldes der Kunst zu arbeiten und dort in Austausch
zu treten. Auch dafür sind Institutionen gut…
L.Z.: …also das Feld
nicht vollkommen anderen, beispielsweise eher marktkonformen Positionen zu
überlassen. Denn ein wesentlicher Punkt, der für die Institution spricht, ist
sicherlich auch die Definitionsmacht, die die Institution hat. Hier findet also
nicht nur eine größere Öffentlichkeit, sondern auch eine andere Form von
Wahrnehmung statt, mit Hilfe derer man sich tatsächlich anders einschreibt.
Bildpunkt:
Auch eurem Ausstellungsprojekt geht es ja um die eigentlich widersprüchlichen
Strategien, Institutionen zu kritisieren und zu erobern. Wie stehen beide
zueinander im Verhältnis? Ist das eine Entscheidungsfrage oder sollte das
gemeinsam geschehen? Was ist dabei aus eurer Sicht zu bedenken?
L.Z.: Das ist eine schwierige Frage…
I.D.: …die
aber auch insofern schwierig ist, als dass sie ein Innerhalb und ein Außerhalb
imaginiert, die so klar abgrenzbar gar nicht existieren. Das haben wir
zumindest doch von oder seit 68 gelernt.
L.Z.: Aber
betrifft das in gewisser Weise nicht auch die autonomen Räume? Sicherlich
werden dort Entscheidungen anders getroffen und Arbeitsprozesse laufen anders
ab, aber letztlich sind auch solche Räume Teil eines bestimmten Kontextes.
Bildpunkt:
Warum macht es dann Sinn, auf autonome Räume zu bestehen, obwohl wir schon
lange wissen, dass es solche Räume innerhalb einer Gesellschaft kaum geben
kann?
I.D.: So
würde ich es auch wieder nicht formulieren. Ich würde auf das Konzept bestehen,
vielleicht in Form eines ethischen Begriffs. Ich halte es für sehr wichtig,
bestimmte Dinge überhaupt denken zu können. Ohne jetzt in Schlagerromantik
verfallen zu wollen, sind Träume doch auch konstitutiv, oder, im Anschluss an
Audre Lorde, notwendig für künstlerische oder gesellschaftspolitische Arbeit.
Und selbst wenn solche Räume dann nach einiger Zeit nicht mehr funktionieren, finde
ich temporär begrenzte Projekte manchmal auch zielführender.
L.Z.: Ich denke
nicht, dass sie nicht mehr funktionieren, sondern sehr aktiv verunmöglicht werden.
Das Konzept der autonomen Räume ist nicht aus sich heraus gescheitert –
gleichzeitig bedarf es einer (Selbst-)Reflexion, die weder naiv noch
pessimistisch das Verhältnis zur Institution, ihren Logiken und Hierarchien
analysiert und dabei Handlungsoptionen entwickelt.
Bildpunkt:
Um noch einmal auf 68 und die Folgen zurückzukommen: Während dabei alle ein
Bild von Woodstock im Kopf haben, denkt niemand an den Generalstreik. Was ist
rettbar, woran lässt sich anknüpfen?
I.D.: Für
mich war 68 einerseits nie eine so wichtige Kategorie. Das hängt sicherlich
damit zusammen, dass man sich in Südkärnten 1968 noch im Zweiten Weltkrieg
befunden hat. Unter anderem aufgrund der fehlenden Auseinandersetzung mit dem
Nationalsozialismus gab es in Österreich eine ganz andere politische Bewegung
als in Deutschland. Andererseits war, da ich mich als feministische Künstlerin
begreife, 1968 natürlich historisch ein sehr wichtiger Zeitpunkt. Denn die so
genannte Frauenfrage hat sich ja erst durch 68 von ihrem diskursiven Dasein als
Nebenwiderspruch emanzipiert.
L.Z.: Entscheidend
scheint mir in Verbindung mit den gesellschaftspolitischen Umwälzungen die
Theoriebildung, die um 1968 und im Anschluss daran stattgefunden hat, also
feministische, anti-hegemoniale und postkoloniale Kritik, die dann auch in
künstlerisch-theoretische Auseinandersetzungen eingeflossen ist. Hier ist ein
Denken ermöglicht worden, das zuvor schlichtweg nicht denkbar war. Auch die Frage, was in einen
kunsthistorischen Kanon Eingang findet, hat sich verändert oder gar zu der
Frage gewandelt, ob Kanonisierung wegen der mit ihr verbundenen Ausschlüsse
nicht überhaupt verhindert werden müsste.
Bildpunkt:
Kanonisierung als Kritik und die Kritik an der Kanonisierung sind heute
selbstverständlich. Sind das die entscheidenden Elemente, die künstlerische
Arbeit, die sich gesellschaftspolitisch an 68 anlehnt, heute aufweist? Und wo
liegen wesentliche Unterschiede?
L.Z.: Kanonisierung
und Kritik sind sicherlich wichtige Elemente – hinzu kommen die
Auseinandersetzungen um AutorInnenschaft und den Werkbegriff, die seit den
1960er Jahren geführt werden. Auf diesen Debatten basieren letztlich auch viele
der heutigen Kooperationen und Allianzen innerhalb und außerhalb des
Kunstbereiches.
Bildpunkt:
Besteht nicht auch ein Unterschied in der emotionalen Herangehensweise? Sind
künstlerische Strategien heute nicht viel weniger wütend?
L.Z.: Auch
die konzeptuelle Kunst, deren wichtigstes Merkmal ja die Analyse ist, stammt
aus jener Zeit. Wut ist nicht unbedingt eine Voraussetzung für
gesellschaftskritische Kunst.
I.D.: Analyse
muss aber nicht ohne Emotionen vor sich gehen. Einer der analytischsten
Künstler, die ich kenne, ist Michael Asher, und der ist auch einer der
wütendsten.
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