10 01 07 Hans Haacke – Wirklich. Werke 1959 - 2006
Benjamin Seibel Benjamin Seibel Als Kritiker der Institution Museum wurde Hans Haacke 1971 durch seine erste große Einzelausstellung bekannt – weil sie nicht stattfand. Teil der Ausstellung im New Yorker Solomon R. Guggenheim Museum sollte die Arbeit Shapolsky et al. werden, eine kritische Dokumentation über die moralisch fragwürdigen Machenschaften eines einflussreichen Immobilienunternehmens. Nachdem Haacke der Aufforderung auf das Werk zu verzichten nicht nachkam, sagte der Direktor des Museums, Thomas M. Messer, die Ausstellung kurzerhand ab. Auch wenn die Gerüchte, dass es zwischen den Trustees des Museums und besagtem Unternehmen Verbindungen gab, nie nachgewiesen wurden, war die Gefahr, die privaten Sponsoren aus der Wirtschaft zu verärgern, offenbar zu hoch. Der Kurator Edward F. Fry, der sich mit Haacke solidarisch zeigte, wurde entlassen. Auch wenn die Absage für Haackes Künstlerkarriere einen Rückschlag markierte, sollte man die Bedeutung, die gerade im Scheitern der Ausstellung lag, nicht unterschätzen. Die versteckten Machtstrukturen des Museums und die Grenzen des Machbaren wurden gerade durch deren Überschreitung präzise offengelegt. In der Folge kam es zu heftigen Protesten, Künstler besetzten das Guggenheim Museum, starteten einen Boykottaufruf und demonstrierten gegen Zensur und für die Freiheit der Kunst. Haacke wurde fortan von den amerikanischen Museen gemieden und musste 15 Jahre auf seine erste Soloausstellung in den USA warten. Shapolsky et al. wurde 1997 auf der documenta X gezeigt, war bis dahin aber lediglich noch ein Stück Kunstgeschichte ohne institutionskritisches Potenzial.
Die Verflechtungen von Wirtschaft und Kunstbetrieb und das Kultursponsoring haben Haacke seit den 1970er Jahren immer wieder beschäftigt. Den Glauben an die Wirkungsmacht des Museums als soziopolitischen Raum hat er darüber aber nicht verloren. Im Gegenteil, gerade weil er dort eines der „Schlachtfelder“ des öffentlichen Diskurses erkennt, möchte er das Museum als Ort für Bedeutungsproduktion nicht kampflos den Konzernen überlassen. Die Zeugnisse dieser Kämpfe sind nun als Teil einer umfassenden Retrospektive in den Hamburger Deichtorhallen zu sehen.
Die Fahne hoch!(Raise the Flag) thront unübersehbar am gegenüberliegenden Ende des Raumes. Die in Nazi-Ästhetik gestalteten Banner wurden 1991 am Münchener Königsplatz installiert, darauf zu sehen sind der SS-Totenkopf, der Schriftzug „Zum Appell. Deutsche Industrie im Irak“ und eine Auflistung 21 prominenter deutscher Firmen, die mit Saddam Hussein Geschäfte machten. Die Installation, die in ihrer Gestaltung auf die Geschichte des Königsplatzes als Aufmarschort für Hitlers Truppen Bezug nahm und gleichzeitig auf die gegenwärtigen Verstrickungen deutscher Industrie in militärische Konflikte verwies, hatte ein überwältigendes Medienecho zur Folge, bedingt auch durch die erwirkte einstweilige Verfügung gegen das Kunstwerk durch eines der genannten Unternehmen. Die Provokation selbst ist ein zentraler Bestandteil von Haackes Arbeit, der, so scheint es, dabei einer recht einfachen Formel folgt: Ohne Provokation, kein Skandal. Ohne Skandal, keine Debatte. Ohne Debatte, keine Bedeutung. Je skandalträchtiger eine solche Arbeit ist, desto besser funktioniert sie, auch und gerade über das Kunstfeld hinaus.
Ebenso finden sich in Hamburg jene Arbeiten, die auf die verborgenen Machtstrukturen zielen, die im Kunstfeld selbst wirken. Dabei reicht Haacke häufig die bloße Montage von Zitaten und Fotografien, um die Scheinheiligkeit der Geldgeber, seien es Saatchi, Cartier oder Daimler-Benz, zu verdeutlichen und deren vermeintliches Kunstinteresse als rein wirtschaftlich motiviertes zu entlarven, während eben diese Unternehmen gleichzeitig Arbeiter ausbeuten oder unterdrückerische Regimes unterstützen. Solche Arbeiten im Museum zu präsentieren, mag durchaus sinnvoll sein, da Haacke so mit seiner Kritik eben jene Zielgruppe erreicht, die auch die Sponsoren anderer Ausstellungen im Auge haben.
Grundsätzlich erscheint der Versuch, Institutionskritik in Form einer Retrospektive zu inszenieren, problematisch. Was einst spezifische Intervention war, verliert durch die Akkumulation im Museum schnell an Schärfe. Dabei ist nicht in erster Linie das Problem, dass die Arbeiten nicht mehr auf der Höhe der Zeit, die meisten Schlachten bereits geschlagen sind. Vielmehr ist es die Art der theatralischen Inszenierung dieser Arbeiten, die Unbehagen bereitet. Sicher, Protest lebt von Aktualität und am Beispiel von Die Fahne hoch! wird schnell deutlich, dass ein derart aus seinem Kontext gerissenes, ortsspezifisches Kunstwerk im besten Fall noch die Dokumentation seiner selbst sein kann. Doch führt die Präsentationsform im Museum im Rahmen einer Retrospektive gleichzeitig zu einer auratischen Aufladung, die sich vor allem daraus ergibt, dass man es hier mit einer Arbeit des Künstlers Hans Haacke zu tun hat. Der Originalcharakter des Kunstwerks wird hervorgehoben, während seine ursprüngliche Intention, eine politische Debatte anzustoßen, in den Hintergrund rückt. In dem gemeinsam mit Pierre Bourdieu herausgegebenen Buch Freier Austausch vertritt Haacke die These, dass eine kritische Arbeit von dem symbolischen Kapital der Institution Museum profitieren kann. Doch stellt sich die Frage, ob hier nicht eher das Gegenteil geschieht: Indem sie in erster Linie als Kunstwerke präsentiert werden, wird das kritische Potenzial der Arbeiten eher neutralisiert, während gleichzeitig mit der romantischen Vorstellung vom autonomen Künstlersubjekt und der Betonung der Autorschaft eben jene Konzepte hervorgekramt werden, gegen die sich die Institutionskritik unter anderem einst wandte. Attribute wie Unangepasstheit, Widerständigkeit und Autonomie, die Haacke gerne zugeschrieben werden, scheinen plötzlich eher der Herausbildung eines Personenkults zu dienen, der für die politischen Forderungen, die hier gestellt werden sollen, kaum von Vorteil sein kann.
Dabei war Haacke einst einer der ersten Künstler, denen die Galerie gleichzeitig Atelier, und somit nicht nur Ausstellungs- sondern auch Arbeitsort war. In seiner bereits 1969/70 entstandenen Arbeit Gallery-Goers’ Birthplace and Residence Profile konnten Galeriebesucher ihren Geburts- und Wohnort auf einem Stadtplan markierten und wurden so Teil einer soziologischen Analyse. Dass nun auf eine erneute Befragung verzichtet und stattdessen die Ergebnisse von damals erneut präsentiert werden, ist exemplarisch für die schlechte Verträglichkeit von Haackes zweifellos wichtiger Arbeit mit dem Format der Retrospektive. Die Journalisten, die ihm als Katalysator seiner Kritik stets von Bedeutung waren, scheinen sich daran kaum zu stören. In den deutschen Feuilletons wird in erster Linie die Person Haacke zelebriert, und irgendwie gönnt man ihm, der als Künstler lange Zeit einen schweren Stand hatte, auf seine alten Tage den verdienten Ruhm. Weiterzuführen, was er begonnen hat, bleibt anderen überlassen.
Deichtorhallen Hamburg 17.11.06 – 05.02.07 Akademie der Künste, Berlin 18.11.06 – 14.01.07
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Benjamin Seibel
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Hans Haacke – Really. Works 1959 - 2006
Hans Haacke – Wirklich. Werke 1959 - 2006
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