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17 11 06

Nur nicht überpolitisieren! oder: Design statt Institutionskritik

Jens Kastner

Behelmte Polizisten laufen mit gezückten Schlagstöcken auf eine Gruppe von Demonstrierenden zu, die sich unter die Arkaden des Markusplatzes zurückgezogen haben. Die Szene spielt in Venedig zu Biennale Zeiten und zwar, wie hätte es anders sein können, im Jahr 1968. Ein Schwarzweißfoto davon findet sich in Tony Godfreys Geschichte der Konzeptkunst. Nun kann man Godfreys Buch sicherlich einiges vorwerfen. Vielleicht sogar die ausgiebige Bebilderung, sicherlich aber seinen Eurozentrismus und einen gewissen Mangel an theoretischer Konsistenz. Was ihm aber nicht hoch genug angerechnet werden kann, ist die politische und soziale Kontextualisierung, die er seinem Gegenstand angedeihen lässt. Jedes Kapitel seines Buches beginnt mit einem Absatz zum Vietnam-Krieg und den Protesten dagegen.

Beim Symposium „Art After Conceptual Art“, das am 10./11.November 2006 in der Wiener Generali Foundation stattfand, kamen soziale Bewegungen hingegen (so gut wie) nicht vor. Weder im Hinblick auf die historische Konzeptkunst, noch auf die danach. Allein Helmut Draxler bezog sich explizit und mehrmals auf „linke Diskurse“. Allerdings meist, um sich von ihnen abzugrenzen. Nimmt man, wie Draxler, dann allerdings den Wertkritiker Robert Kurz als Beispiel für die linke Verachtung der Formfragen, hat man recht leichtes Spiel. In etwa so leicht wie Kurz seinerseits es sich macht, wenn er „postmodernes Denken“ verwirft und dafür Ulrich Beck (!) als Repräsentanten heranzitiert. (Als nähme man Gerhard Schröder zum Beispiel, um mit „sozialistischer Politik“ abzurechnen). Aber die Gefahr, sich eines Pappkameraden zu bedienen, gestand Draxler (im Gegensatz zu Kurz) auch ein. So sollte das Beispiel Jeff Koons, mit dem er sein Plädoyer für das Design (bzw. dessen offene Grenzen hin zu konzeptueller Kunst) untermauerte, wohl in erster Linie die vermeintliche Hegemonie jener für spröde und trocken gehaltenen Kunst anpissen, für die die Generali Foundation steht.

Trotz allem aber sind solche Abgrenzungskämpfe wichtig. Sie sind nicht weniger als eines der Strukturmerkmale des künstlerischen Feldes. Und nur mit ihrer Hilfe lassen sich auch Kriterien für den Gegenstand entwickeln. Dass sich nicht alle Abgrenzungen auflösen und es durchaus solcher Merkmale auch für die postkonzeptuelle Kunst bedürfe, darauf insistierte neben Draxler auch Sabeth Buchmann. Angesichts der gegenwärtigen Ökonomisierung der Kultur widmete sie sich den Reflexionen, die die frühe Konzeptkunst hinsichtlich des Topos der Arbeit geleistet hatte. Dabei vertrat sie die These, dass auch die Waren- und Spektakelkritik der 1960er Jahre schon Anknüpfungspunkte für neoliberale Diskurse bereithielt. Obwohl auch im Anschluss an Luc Boltanskis und Ève Chiapellos Buch „Der neue Geist des Kapitalismus“ oder auch im Postoperaismus recht breit diskutiert, wurde diese Debatte beim Symposium leider nicht aufgegriffen. Immerhin drängt sich da eine dilemmatische Frage auf: Was bleibt, wenn sich selbst die kritischsten Geister des eigenen Feldes im Nachhinein als Agenten des Gegners entpuppen? Die Antwort: Design. Ausgehend von dem schönen Satz, dass die Kunst „immer auch Arbeit am Bild der Kunst“ sei (Buchmann), erschien die (modernismuskritische) Form tatsächlich als Lösungsansatz. Oder zumindest als ein nicht kooptierbarer Horizont der Kunst aus lauter Angst vor deren „Überpolitisierung“ (Buchmann, einen Begriff Rachel Weiss´ zitierend).

Man muss nicht die Springerstiefel auf dem Markusplatz klacken hören, um sich einen anderen Schwerpunkt konzeptueller Arbeiten vorstellen zu können. Institutionskritik beispielsweise ist Alexander Alberro zufolge, der neben Buchmann den Sammelband zur Konferenz mit herausgibt, das wesentliche Moment von „Art After Conceptual Art“. Und dass damit nicht nur die Rolle des Künstlers/der Künstlerin und der Status von Museum und Galerie gemeint sein muss, wussten nicht nur die Biennale-TeilnehmerInnen von 1968. Es steht auch im Buch. Zum Beispiel im Aufsatz von Helen Molesworth („Housework and Artwork“) über den Feminismus bei den Künstlerinnen Judy Chicago, Mary Kelly, Mierle Laderman Ukeles und Martha Rosler. Institutionskritik ist hier Kritik an gesellschaftlicher Organisation, an patriarchaler Zuschreibung, an der Trennung von Öffentlichkeit und Privatheit. Kritiken, die ohne die gleichzeitig erstarkenden feministischen Bewegungen auf der Straße so niemals formuliert worden wären. Auch wenn ihre „ästhetische“ Umsetzung feldimmanenten Logiken gefolgt ist.

Um einen solch weiten Institutionsbegriff wieder in Anschlag zu bringen, muss aber nicht nur die historische Konzeptkunst sozial und politisch kontextualisiert werden. Auf letzteres wies zu guter Letzt doch noch Rachel Weiss hin. Weiss, eine der KuratorInnen von „Global Conceptualism“ (New York 1999), einer der wohl wichtigsten historisierenden und die US-Hegemonie in diesem Bereich brechenden Konzeptkunstausstellungen, wiederholte dabei auch ihre Kritik an Benjamin Buchloh, der die Protestbewegungen von 1968 in seiner Auseinandersetzung mit der Konzeptkunst nicht erwähnt hatte. Schließlich betonte Weiss dann allerdings, dass neben dem Politischen auch das Spielerische und das Sensuelle der Konzeptkunst nicht vernachlässigt werden dürfe. Nur nicht „überpolitisieren“. Visualität, da hingegen ist ihr sicherlich nur zuzustimmen, war und ist nicht der Gegenpol zum Politischen. Design und Straße müssen sich ja auch nicht ausschließen.


„Art After Conceptual Art“. Konferenz und Buchpräsentation, 10.-11. November 2006, Generali Foundation, Wien.

Alberro, Alexander und Sabeth Buchmann (Hg.): Art After Conceptual Art, Wien/Köln 2006 (Generali Foundation/Verlag der Buchhandlung Walther König). Auch in englischer Version erhältlich.

Godfrey, Tony: Konzeptuelle Kunst, Berlin 2005 (Phaidon Verlag). Zuerst auf Englisch erschienen.


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