Zur Institutionskritik ist ja viel
geschrieben worden. Am wichtigsten fand ich den Artikel von Dan
Grahami,
wo er die Selbstreferentialität und das Vorführen des
eigenen Produktionsapparates bei Godard (die ja irgendwie so
marxistisch-brechtisch, die-Institution-Kino-kritisierend-und-seinen-mythischen-Erzählfluss-brechend,
gemeint war) mit der von Dean Martin verglich, der in seiner Show
häufiger betrunken auftrat, es dann aber nicht dabei beließ
oder das Betrunkensein kaschierte, sondern viel mehr auch noch
andauernd Witze über seinen Suff machte und für jeden
sichtbar mit den Textkarten („Idiot-Cards“) hantierte, immer
wieder durchs Studio stolperte und durchblicken ließ, dass er
den Text durcheinandergebracht oder vergessen hatte, und so weiter.
Graham’s Fazit war recht
deprimierend: das Vorführen der eigenen Korruptheit und das
Demaskieren der Institution zerstört letztlich den
Fetischcharakter der Ware nicht, und es führt genauso wenig wie
das Zerschlagen des Bilderrahmens und des bürgerlichen Überbaus
zu Aufklärung und Revolution, sondern lässt sich, letzten
Endes, mitverkaufen.
Das ist schon eine enttäuschende
Schlussfolgerung: dachte man doch immer, wenn die Malerei als
ideales, unkopierbares Tauschobjekt, die Arbeit in Kunsträumen
generell, vom Markt geschluckt worden ist und die Intervention „wie
alle Alternativen“ am Ende nur das System optimiert habe, dann
bliebe einem wenigstens noch das schmucklose aber funktionierende
Rettungsboot „Kritische Distance“.
Ich weiß wovon ich spreche. Denn
ich habe kürzlich gleich bei mehreren Ausstellungen mitgemacht,
die sich, in ihrem Wunsch, sich einem Thema und der sog. Wirklichkeit
hinzugeben, in den Disziplinen „Aufgabe eines kritischen
Standpunktes“ und „Ignoranz gegenüber künstlerischer
Haltung“ recht weit vorwagten. Ein Beispiel: im Rahmen eines dieser
Projekte wurde ein ZDF Hauptredakteur von der österreichischen
Projektleiterin auf Kosten der Kulturstiftung des Bundes nach
Moldawien geschickt, um einem immerhin auf der Documenta11 gezeigten
Videokünstler den Begriff „Formatfernsehen“ beizubringen.
Schnell war aus dem sperrigen Performance-Video ein flotter
Erkennungsclip im MTV-Stil geschnitten, und drumrum eine Sendung
formatiert, deren zahnlose Harmlosigkeit dem öffentlich-rechtlichen
Deutschen eigentlich schon zu weit ging. Der solcherart geworkshoppte
Künstlerkollege stellte das Erlernte dann auf einem für
künstlerischen Austausch gedachten Kongress vor, als habe er das
Ei des Kolumbus entdeckt und eine Kritik an „der normativen Macht
des Faktischen“ nie stattgefunden.
Wird man Zeuge solcher vor dem Status Quo auf Knien rumrobbender Kunst samt dem sie vermittelnden, zwischen Therapiegruppenjargon, Zielgruppenslang und Nato-Einsatzbesprechungsvokabular schlingernden Interventionsrechtfertigungsgerede, kommt Sehnsucht auf, nach klarer Abgrenzung, nach Großer Verweigerung, Negation, Ad Reinhardt, Autonomie, Grabenkämpfen, Recht haben, Zweiliterkartons Rotwein und ungebrochenen, ungewaschenen, authentisch stinkenden Künstlersubjekten, die von der Zigarette vor dem Rauchen den Filter abbrechen.
Aber halt! Ist es denn wirklich so finster? Neulich zog ich mich von der Welt mit meiner Freundin ins Bett zurück, und Freude und Erleuchtung kam durch den Fernseher herein in Gestalt von Terence Hill. Der Titel des Films war super und versprach Trost und Trotz in hoffnungsloser Zeit: „Verflucht, Verdammt und Halleluja“ („Man Of The East“, 1972). Noch superer aber war Hill’s Auftritt in dieser Szene – dem Höhepunkt des Films eigentlich. Darin führt der Schauspieler anhand eines kleinen Kabinettstückchens vor, was die Kunst kann, und was der Künstler tun soll:
http://www.terencehill.com/videoclips/maneasthorse.html
Die in der Szene gezeigte Institution
ist das westernunvermeidliche Duell mit dem Nebenbuhler. Bis zu
diesem Zeitpunkt war Hill dem Duell immer ausgewichen: er fand das
alles albern und wollte sich in das ödipale Dreieck des Westerns
nicht einordnen lassen und an den männlichen Initiationsriten
nicht teilhaben – und stattdessen weiter in seinem Oxfordanzugii
auf seinem Fahrrad durch den wilden Westen fahren und Yogaübungeniii
machen. Doch schließlich kommt er um den Kampf nicht mehr
herum. Die Saufkumpels seines verstorbenen Vaters bringen ihm
Schiessen und Reiten bei, und dass man den Gegner mit grimmigem Blick
oder siegesgewissem Lächeln verunsichern soll. Schließlich
reitet unser Held auf der Highstreet ein. Statt nun mit gestärktem
Selbstbewusstsein den Gegner abzuballern, (den Konkurrenten damit
zwar aus dem Weg zu räumen, sich selbst aber mit diesem Akt in
die ödipale Ordnung eingefügt zu haben) macht Hill etwas
vollkommen anderes, nämlich zunächst eine Gymnastikübung
auf dem Pferd: Einen virtuosen, halbminütigen Schulterstand.
Damit gelingt Terence Hill nicht nur
der Sprung heraus aus einer ödipalisierenden Situation, sondern
darüber hinaus die Sprengung des Formats Western auf so
nachdrückliche Weise, dass danach eigentlich nie wieder eine
Duellszene gedreht werden kann: The duel to end all duels.
Wie der gute Künstler, zieht sich
Terence Hill also nicht in den Elfenbeinturm der Institution zurück,
sondern begibt sich mitten unter die Leute. Ich finde die, von manch
universitärem Verteter propagierte Rückkehr zur Kritischen
Theorie, reinen Kunst und einer Adornomässigen Distanziv
zum weltlichen Geschehen weder möglich noch wünschenswert –
ist die Kritik an diesem trennenden Denken und dieser fiktiven
Distanz als „Königswissenschaft“v
doch gar nicht zu widerlegen.
Doch für den Ausflug ins echte
Leben kann Terence Hill einem zwei wichtige Dinge mit auf den Weg
geben: Spiel, erstens, das Spiel nach eigenen Regeln; schau Dir die
Welt aus einer anderen Perspektive an; führe eine neue,
künstlerische Sprache ein und setze damit die Sprache der
herrschenden Institution ausser Kraft. Zweitens: erscheine zu einem
Dialog mit der Zivilgesellschaft niemals unbewaffnet.
http://www.terencehill.com/videoclips/manoftheeast2.html
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i Dan Graham: Dean Martin / Entertainment as Theater, in: Blasted Allegories: An Anthology of Writings by Contemporary Artists, Vol. 2, Hg. Brian Wallis
ii Für unseren Fall nebenbei interessant: Hill spielt einen aus der Universität in den Westen und die Niederungen der Realität Zurückkehrenden mit dem treffenden Namen „Sir Thomas More“.
iii In diesem Zusammenhang sagt Hill den bezeichnenden Satz: „Man, do not forget - you are still an animal“. Deleuze & Guattari vor Deleuze & Guattari... Terence Hill’s Übung im tier-werden, siehe: http://www.terencehill.com/videoclips/manoftheeast1.html
iv Analog zur Kritik orthodoxer linker Gruppen an der EZLN, man könne die Welt nicht mit Gedichten verändern, und der konjunkturellen Wendung gegen Negri & Hardt im Namen der reinen Lehre.
v Siehe hierzu Anne Querrien’s Untersuchung des Gotischen Kathedralenbaus als „mindere Wissenschaft“, als Gegenteil staatsförmigen Denkens. Die mittelalterlichen Kathedralenbauer arbeiteten mit einer intuitiven (archimedischen) Statik, die Spannungen berechnen konnte, im Gegensatz zur, der Schwerkraft verhafteten, euklidischen Mathematik (Königswissenschaft). Diese bahnbrechende Untersuchung Anne Querrien’s aus den späten siebziger Jahren ist immer noch nicht veröffentlicht. Verweise darauf in: Deleuze, Guattari: 1000 Plateaus, Kapitel 12., 1227; Abhandlung über Nomadologie: Die Kriegsmaschine