Störenfriede | Troublemakers
Der Schrecken der Avantgarde - von Makart bis Nitsch | Enfants Terribles of the Avant-Garde from Makart to Nitsch

Lentos Kunstmuseum Linz, 1 Feb - 18 May 2008

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With the exhibition Troublemakers - The Enfants Terribles of the Avant-Garde from Makart to Nitsch curated by Sabine Fellner the Lentos Art Museum presents a museum show of exemplary infamous troublemakers of Austrian art history from the fin de siècle to Actionism.
The effect of the works by artists from Makart to Nitsch on the public at the time is not only reconstructed with about 80 works, in a juxtaposition of respectively traditional and new art currents, but also illustrated with press reviews and statements from contemporaries. The exhibition is accompanied by a richly illustrated catalogue with scholarly articles.

"Man faces the holy spirit, the sanctus spiritus, the creator spiritus, in hostility. He wishes to be left in peace. He lives happily in the assured position prepared for him by the great men of the past. The idea that he should go on, that he should leave the assured place that he has finally achieved, troubles him, and this is why he hates the artist, who seeks to replace the views he has come to love with new ones."

Around 1900 Adolf Loos formulated what a society has always been confronted with in light of new directions in art. The avant-garde, "who penetrate into unknown territory as scouts, who expose themselves to the risks of sudden shocking encounters, who conquer a future not yet claimed," according to Jürgen Habermas, force the viewer to abandon familiar ways of seeing and enter into something new and unknown. Makart, Romako, Klimt, Schiele, Kokoschka, the artists of the Hagenbund, the Art Club, the Viennese Actionists, all of them were provocative and disruptive. As troublemakers they incited reactions that were quite differently vehement: the scope of controversies ranged from hounding by the press to the resignation of politicians and the destruction of art works all the way to the arrest of artists.

Many of the artists who today serve as hallmarks of Austrian culture and artistic production had to undergo this process of radical rejection and public revilement. Regardless of the respective social and political circumstances, many of them still achieved social acceptance, even honors during their lifetime. Yet this good fortune was not the lot of several others; they died misunderstood and in poverty, and their achievements were only recognized generations later. Not infrequently, it was the new provocateurs who discovered the old ones, such as Oskar Kokoschka, who found a source of inspiration in Anton Romako and worked for his rehabilitation.

Whereas Hans Makart provoked vehement reactions from the audience with his burning colors and sensuous painting, about thirty years later, around 1900, the embittered public debates about Gustav Klimt's ceiling paintings for the University of Vienna led to the resignation of the Minister of Education. The expressive works of Egon Schiele, "Breughel�s hell of souls", disconcerted and overtaxed both the public and the art critics, as did the work of the "explosionist" Oskar Kokoschka. In the 1920s, the "scrambled egg pictures" shown in Hagenbund caused a sensation, and the "pictures roughly plastered like masonry" by the artists Helene Funke and Helen Taussig were "abhorrent" in the view of the art critics.

Following the dogmatic art propaganda of National Socialism, the irritating new art shown in the Art Club in its first exhibition in 1946 was rejected as a "morass of perversities".

In the late 1950s the public was confronted with a new challenge, the Viennese Actionists. Their "metabolic party" in 1968 at the University of Vienna led to the criminalization and arrest of the actors.

For more information on the exhibition: http://www.lentos.at/en/45_1580.asp

***** german version *****

„Der Mensch stellt sich dem heiligen geiste, dem sanctus spiritus, dem schaffenden geiste, dem creator spiritus, feindlich entgegen. Er wünscht ruhe. Glücklich lebt er in der gesicherten position, die ihm die großen der vorzeit bereitet haben. Daß er weiter soll, dass er seinen endlich erreichten, gesicherten platz verlassen soll, bereitet ihm unbehagen, und daher haßt er den künstlermenschen, der ihm die liebgewonnenen anschauungen durch neue verdrängen will.“

Adolf Loos formulierte um 1900, womit eine Gesellschaft seit jeher angesichts neuer Kunstrichtungen konfrontiert wurde. Die Avantgarde „ die als Kundschafter in unbekanntes Gebiet vorstößt, die sich den Risiken plötzlich schockierender Begegnungen aussetzt, die eine noch nicht besetzte Zukunft erobert“ so Jürgen Habermas,  zwingt den Betrachter,  gewohnte Sehweisen aufzugeben und sich auf Neues, Unbekanntes einzulassen.  Makart und Nitsch, die auf den ersten Blick wenig gemein haben, waren beide, jeder auf seine Art, Provokateure. Seit dem Fin de Siecle riefen in der österreichischen Kunst eine ganze Reihe von Störenfrieden Reaktionen von unterschiedlichster Heftigkeit hervor: Der Bogen öffentlicher Reaktionen spannte sich von simpler Pressehetze über Rücktritte von Politikern bis zur Verhaftung von Künstlern nach der Uniaktion 1968.

Hans Makarts Malerei eröffnet den Reigen. Er provozierte ein Publikum, das an die strenge, klassische Historienmalerei eines Anselm Feuerbach,  Hans Canon oder Wilhelm Kaulbach gewöhnt war mit einer farbdurchglühten, sinnlichen Malerei. Friedrich Pollak beschreibt es rückblickend 1905: „Was Wunder, dass die Leute, die gewohnt waren sich vor Kaulbach und Cornelius zu langweilen, erschrocken vor der Sinnenglut Makarts zurückbebten. Makart warf die den üppigen Leib deckenden Fetzen ab und ließ die asketisch erzogene Menge erbeben unter dem wollüstigen Schauer weißer Frauenleiber, wie er sie erdachte.“ Makart - von Kollegen und Kunstkritikern mit Spott und Häme bedacht und als Scharlatan verurteilt –wird jedoch schnell zum uneingeschränkten Liebling des Wiener Publikums

Anton Romako blieb auch diese Anerkennung verwehrt, sein von Gegensätzen und Widersprüchen geprägtes Werk blieb zu seinen Lebzeiten vom Publikum unverstanden. Das1882 gezeigte Werk „Tegethoff in der Seeschlacht bei Lissa“ stieß auf  heftigstes Unverständnis und empörte Kritiken. Erst Jahrzehnte nach seinem Tod erkennt 1913 der Kunstsammler Oskar Reichel die Bedeutung Romakos.  Nach seiner Überzeugung führt der Weg der Moderne „von Romako zu Kokoschka, dem Visionär unter den jungen Wiener Künstlern“.

Gustav Klimts Entwürfe für die Universitätsfresken um 1900 führten zu einer erbitterten öffentlichen Diskussion zwischen Traditionalisten und Neuerern und kulminierte im Rücktritt des damaligen Unterrichtsministers. Klimts Interpretation des gestellten Themas verstörte, war man doch für die Behandlung großer Themen im Sinne des Historismus die Verkleidung der Allegorie gewöhnt und nicht ein realistisches Abbild des leidenden, ringenden Menschen. Das Bedrohliche seines Entwurfes für die Medizin war die schonungslose, den menschlichen Körper realistisch im Stadium der Schwangerschaft, des Siechtums und des Alters abbildende Darstellung, deren unerhörte Wirkung erst neben der bis dahin üblichen Ausstattungsmalerei der Wiener Ringstrasse deutlich wird. Klimt entfesselte eine Diskussion über das Hässliche in der Kunst. So formulierte die „Neue freie Presse“ 1900: „ Nicht das Nackte auf dem Bilde, sondern das Hässliche wird von und angefochten...Wir kämpfen nicht gegen die nackte und nicht gegen die freie Kunst, sondern gegen die hässliche Kunst“. Der Skandal um die Universitätsfresken führte zum Rückzug Klimts von weiteren öffentlichen Aufträgen, er wird zum hochdotierten Porträtisten einer wohlhabenden Klientel.

Die expressiven Arbeiten des von Klimt protegierten Egon Schiele verunsicherten und überforderten nicht nur das Publikum, sondern auch seine Kollegen. Die Malerin Broncia Koller, selbst der Stilkunst Klimts verpflichtet, empörte sich 1912: „...weil die Leute nicht mehr wissen, was Kunst ist. Ihnen ist die Sensation alles. Diese halbwüchsigen Kerle müssen erst den Beweis erbringen durch Arbeit und Leistung.“ Sie allerdings lässt sich bald überzeugen und gibt 1918 bei Schiele ein Porträt ihres Gatten in Auftrag.

Gleichzeitig erregte Kokoschkas neue, extatisch verzerrte Ausdrucksweise die Gemüter, hatte man sich doch gerade erst an die reduzierte Formensprache der Secessionisten und der Wiener Werkstätte gewöhnt. Das Urteil eines Kunstkritikers anlässlich seines Debuts 1908 lautete: „ Ein Nebenraum mit angeblich „dekorativen“ Malereien von Kokoschka ist mit Vorsicht zu betreten. Menschen mit Geschmack sind hier einem Nervenschock ausgesetzt.“  Die Aufführung seines Theaterstückes „Mörder Hoffnung der Frauen“  geriet endgültig zum Skandal und führte dazu, dass ihm sein Stipendium an der Kunstgewerbeschule entzogen wurde. Kokoschka, in Wien gescheitert, ging daraufhin in die Schweiz. 

Weibliches Kunstschaffen wurde stets mit besonderem Argwohn beobachtet. Bereits 1898 hatte die Bildhauerin Theresa Feodorowna Ries die Gemüter mit ihrer „Hexe“ erhitzt. Der Kunstkritiker Ludwig Hevesi spricht deutlich aus, was die Gesellschaft beunruhigte: „ Schade, daß sie in dem Wahne lebt, Männerarbeit tun zu wollen, dafür ist sie nicht geboren.“

Rund 20 Jahre später  fühlen sich die Kunstkritiker durch die Arbeiten der Malerinnen Helene Funke und Helene Taussig heftig irritiert. Die beiden Malerinnen sprengten deutlich die Bahnen, in denen man weibliches Kunstschaffen gerne gesehen hätte: akademische Blumen- und Stillebenmalerei. Ihre expressive Malweise wurde als zutiefst unweiblich empfunden, wie Artur Roessler deutlich formulierte: „ Von Frauen mit der Spachtel maurermäßig derb hingestrichene Bilder...(sind) mir und den meisten Männern ein Greuel.“

Doch wurden sie auch als Vertreterinnen  „gewisser moderner Richtungen“ verurteilt, „deren Anhänger mit Absicht die Qualitätslosigkeit pflegen“. Sowohl Helene Funke als auch Helene Taussig wurde die verdiente Anerkennung erst lange nach ihrem Tod zuteil.

Nach dem Tod Klimts und Schieles und dem Ende der Monarchie 1918 dezentralisierte sich das bis dahin auf Wien konzentrierte Kunstgeschehen. In Kärnten, Salzburg,  Oberösterreich und der Steiermark bildeten sich neue Künstlervereinigungen, die jede auf ihre Art den Anschluss an die Moderne suchten. Die im Vergleich zur internationalen Entwicklung zurückhaltende Auseinandersetzung mit Expressionismus, Neuer Sachlichkeit und kubistischen Tendenzen wird als „im Zeichen der extremen Moderne“ stehend empfunden. Was  im Rahmen der Ausstellungen der  Künstlervereinigung  „Hagenbund“ gezeigt wurde, stieß 1922 auf Ablehnung:  „Es wird einem buchstäblich genommen blau und gelb vor Augen bei soviel ‚Eierspeisbildern’“. Vor allem die Arbeiten von Reinitz, Tischler und Floch waren damit gemeint. Ein Urteil über Herbert Boeckls Arbeiten lautete 1928:“ ...seine Bilder kämen weit besser zur Geltung, wenn man sie verkehrt aufhängen würde, so dass sie einfach als Farbfleck wirkten...etwa wie gebrauchte Paletten.“

Anton Kolig, Vertreter des Nötscher Kreises, erhält 1929 den Auftrag, den kleinen Landtagssaal im Klagenfurter Landhaus mit Fresken auszumalen. 1931 fordern deutschnationale Abgeordnete die Entfernung der „das Empfinden eines großen Teiles der Kärntner Bevölkerung beleidigenden Bilder“. 1935 verhängt, werden sie 1938 nach dem „Anschluß“  zerstört.

Während des Austrofaschismus übte in einer Phase der Rekatholisierung die auch politisch einflussreiche Kirche entscheidenden Einfluss auf die Kunstproduktion. Der Kirchenbau und die damit verbundene religiöse Malerei, bestimmte die offizielle Kunstrichtung, die sich von allzu modernistischen Strömungen fernzuhalten hatte. Herbert Boeckl, dessen avantgardistische Werke selbst seine Freunde wie den Kunsthistoriker Otto Benesch verwirrt zurückließen: „ Wir mußten oft das Verstehen und richtige Bewerten auf einen späteren Tag verschieben. Dieser Tag jedoch blieb nie aus...“  malte nun der staatlichen Kunstauffassung entsprechende Heilige. Eine Expertise des Bundeskanzleramtes brachte 1933 zufrieden zum Ausdruck: „Die österreichische Kunst hat sich von jeher von geschmacklosen Extremen irgendeiner modernen Kunstrichtung fernzuhalten gesucht. Der angeborene Geschmack des Österreichers hat ihn davor bewahrt, gewisse Grenzen des Geschmacks und der Pietät zu überschreiten. Auch in der christlichen Kunst ist dies der Fall, und Auswüchse des Modernismus, wie man ihm in Deutschland und Belgien begegnet, gehören in Österreich zu den Seltenheiten.“

Das Ideal der Kunstpolitik des Nationalsozialismus waren: „... Leiber, so wie sie von Natur sein sollen, um Bestformen, um rein durchgebildeten Gliederbau, um gut durchblutete Haut, um den angeborenen Wohllaut der Bewegung und um sichtbare vitale Reserven, kurz um eine moderne und deshalb fühlbare sportliche Klassizität.“ 1939 machte die Ausstellung unter dem Titel „Entartete Kunst“ im Wiener Künstlerhaus den Nationalsozialistischen Standpunkt zur Moderne deutlich. Sie läutete einen sieben Jahre dauernden kulturellen Tiefschlaf ein, der jede Störung unterband.

Kein Wunder, dass die Reaktion 1946 auf die irritierende Stilvielfalt, die der Art Club in seinen ersten Ausstellungen nach Jahrzehnten konservativer religiös-nationalistischer und nationalsozialistischer Kunst bot, heftig war: “ „Die internationale Ausstellung des Art Club in der Secession ist eine jener sattsam bekannten, hauptsächlich abstrakten Ausstellungen, die weder der ‚gemeine Mann’ noch der ‚Gebildete’ versteht.“

Vor allem die Bilder Rudolf Hausners verursachten heftige Proteste, politische Stellungnahmen im Parlament und den Ruf nach Entfernung seiner Bilder aus einer laufenden Ausstellung:  „ Es ist verantwortungslos, dass man junge Menschen in einem Sumpf von Perversitäten herumwaten lässt, ohne ihnen die hilfreiche Hand des Lehrers zu bieten, sie aus diesem Schmutz herauszuführen in eine gesündere geistige und künstlerische Atmosphäre.“

1950 stellten der aus der Schweiz zurückgekehrte Fritz Wotruba und Josef Thorak, geschätzter Bildhauer Hitlers, gleichzeitig in Salzburg aus. Die Gunst des Publikums stand eindeutig auf der Seite Thoraks, Wotruba hingegen „wühle im Primitiven und Häßlichen“.

Im selben Jahr kehrten Rainer und Lassnig dem als so provokant empfundenen Art Club den Rücken und formierten die „Hundsgruppe“, die in der Presse als „Extremisten, die nun dem Art Club als einem verwässerten Seicherlclub den Rücken gekehrt haben“ bezeichnet wurde.

Ende der 1950er Jahre wurde das Publikum vor eine neue Herausforderung gestellt - den Abschied vom traditionellen Tafelbild. Eine neue Kunstauffassung, in deren Mittelpunkt nicht mehr das illusionistische Bild stand, bestimmte die Arbeit der Wiener Aktionisten. Mühl, Nitsch, Schwarzkogler und Brus erarbeiteten stufenweise über Collage, Action Painting, Happening schließlich die Performance, die sich durch ihre besondere Wirkung auf den Zuschauer, der einen wesentlichen Anteil am Kunstwerk selbst hat, auszeichnete.

Die „Stoffwechselparty“  1968 in der Universität Wien führte zu einer nie da gewesenen Aufregung, die in der Kriminalisierung und Verhaftung der Akteure gipfelte. Peter Turrini formulierte die Sprengkraft des Wiener Aktionismus: „Hinter der Fassade der Demokratie, der vorgegebenen Unschuld, der Ordnung und der Sauberkeit, tauchten plötzlich Blut, Sperma und Dreck und all diese wüsten Dinge auf, mit denen die Aktionisten durch die Gegend warfen.“

Die Ausstellung stellt exemplarisch einige Störenfriede vor, die  in der österreichischen Kunstgeschichte für Provokation sorgten. Die Wirkung ihrer Arbeit auf die Öffentlichkeit wird durch die Gegenüberstellung von jeweils traditioneller und neuer Kunstströmung und an Hand von Pressekritiken und zeitgenössischen Stellungnahmen veranschaulicht.

Die vorgestellten Beispiele erheben keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Ziel ist es vielmehr zu dokumentieren, dass der Kampf zwischen Neuerern und Traditionalisten in unterschiedlicher Heftigkeit in den gezeigten rund hundert Jahren österreichischer Kunstentwicklung nach sich stets wiederholenden Prinzipien geführt wurde.

Sabine Fellner


Für mehr Information zur Ausstellung: http://www.lentos.at/de/45_1580.asp
Besprechung der Ausstellung in der Neuen Zuercher Zeitung, 20.03.2008